Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
dessen Vater. Wegen der verblüffenden Ähnlichkeit.« In einer mit Blumen bemalten Blechkassette, die die Aufschrift
einer bekannten Kaffeefirma trug, wurde gefunden: »Eine fast wertlose, aber intakte Herrenarmbanduhr. Ein verschlissener Goldring
mit einem künstlichen Rubin, ebenfalls fast wertlos. Ein Zehnmarkschein aus dem Jahr 1944. Ein Rotfrontkämpferabzeichen, dessen
Wert der Unterzeichnete nicht feststellen kann. Ein Pfandschein aus dem Jahre 1936, mit dem ein goldener Ring für 2,50 RM,
ein weiterer Pfandschein aus dem Jahre 1937, mit dem ein Biberpelzkragen für 2,– RM verpfändet worden war. Ein korrekt quittiertes
Mietquittungsbuch.« Lebensmittelvorräte von Wert wurden nicht gefunden; eine halbgefüllte Flasche Essig, eine Büchse Öl, fast
voll (Kleinformat), trocken gewordenes Grahambrot (fünf Scheiben), eine angebrochene Büchse Milch, Kakao in einer Blechdose
– etwa 65–80 Gramm enthaltend. Ein nur halbgefülltes Glas Pulverkaffee, Salz, Zucker, Reis, Kartoffeln in bescheidener Menge
sowie eine Tüte Vogelfutter, unangebrochen. Außerdem zwei Heftchen Zigarettenpapier und eine angebrochene Pakkung Feinschnitt,
Marke »Türkenkost«. Sechs Romane eines gewissen Emile Zola, Taschenbuchausgabe, zerlesen, nicht schmutzig. Wahrscheinlich
von geringem Wert. Ein Buch mit dem Titel: »Lieder der Arbeiterbewegung«. Das gesamte Mobiliar wurde von der neugierig hereindrängenden
Nachbarschaft, die entsprechend in ihre Schranken verwiesen wurde, verächtlich als »das reine Gerümpel« bezeichnet. Die Wohnung
wurde, nachdem das Eintreffen des Polizeiarztes abgewartet worden war, vorschriftsmäßig versiegelt. Frau Zw. wurde ihrer Erbansprüche
wegen an die Justizbehörde verwiesen.
6) Frau Zw. wurde angeboten, mit Herrn (»Fritz«) in Verbindung gebracht zu werden, der ihr möglicherweise interessante Details
aus dem Leben der Verstorbenen und |485| über den Vater des Verstorbenen Erich K. mitteilen könne. Sie lehnte ab. Mit Kommunisten, sagte sie, wolle sie nichts zu tun
haben.
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Wenn sie nicht gerade mit ihrem Rotstift zugange ist, ist K. fast unersetzlich. Ihre unbestreitbare germanistische Sensibilität,
die lediglich dann versagt, wenn sie textgestalterische oder redaktionelle Ambitionen hat, ihre ziemlich lange Einübung in
spiritualistische Praktiken, sind, säkular verwendet, keineswegs als verloren zu bezeichnen; gerade, weil sie in gewisser
Weise emanzipiert ist, stürzt sie sich mit für den Verf. wohltuendem Eifer auf Koch- und Küchenarbeit, ist geradezu abwaschsüchtig,
registriert stirnrunzelnd die Höhe der Fleischpreise, der Mieten, fährt andererseits aber gern Taxi, errötet hin und wieder
über das gewalttätige Pornoangebot; sie hat sich, was die verfasserische Seite angeht, sozusagen selbständig gemacht, was
bedeutet, sie greift nicht mehr mit dem Rotstift in anderer Leute, nur noch in ihre eigenen Texte ein. Ihren eigenen Worten
zufolge hat sie der Tod der Ilse Kremer »erschüttert«, es hat Tränen darüber gegeben (gibt sie noch), sie will eine Kurzbiographie
dieser Frau verfassen, deren »Hinterlassenschaft nach fünfzigjähriger Tätigkeit als Arbeiterin in einem soeben abbezahlten
Fernsehapparat, einer halben Flasche Essig und ein bißchen Zigarettenpapier – und einem Mietquittungsbuch besteht. Ich komme
nicht drüber, komm einfach nicht drüber.« Das sind doch löbliche Erkenntnisse und Vorsätze.
Im übrigen leistete K. nicht gerade als Spitzel, aber als Beobachterin ungeschätzte Dienste. Während der Verf. |486| immer noch nicht den sehnlichst erstrebten Zustand der totalen Lvw. erreicht hat, ist sie dem Ziel nahe, nur noch Sachen zu
tun, die ihr Spaß machen. Es macht ihr Spaß, Schirtenstein und Scholsdorff zu besuchen und festzustellen, daß sie entspannt
wirken; die Ursache für deren Entspanntheit entdeckt sie dann später: Schirtenstein »Wange an Wange und Hand in Hand mit Leni
auf einer Bank im Blücher-Park«. Was Scholsdorff betrifft, so ist sie zweimal Augenzeugin von Handauflegungen im Café Spertz
gewesen; einmal hat sie in Lenis Wohnung einen Menschen getroffen, der nach ihrer Beschreibung niemand anders gewesen sein
kann als Kurt Hoyser. Da sie ziemlich sicher ist, daß Leni in ihrem gegenwärtigen Zustand auch Mehmet intime Beziehungen verweigert,
findet sie, daß Leni bei Pelzer, den sie »im Dunkeln, in einem Auto, unweit der eigenen Wohnung geküßt hat«, weit genug gegangen
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