Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
ist. Pelzer zu besuchen, scheut sie sich, weil sie glaubt, er sei »ein im Grunde unzärtlicher Mensch, durchaus fähig, handgreifliche
Ersatzerotik von mir zu fordern«.
Über Lev Gruyten macht sie sich nicht die geringsten Sorgen. »Der kommt ja bald raus.« Aktiv, wie sie ist, hat sie sogar an
einer Demonstration der Müllarbeiter vor dem Strafgericht teilgenommen, Schildertexte verfaßt wie »Ist Solidarität ein Verbrechen?«,
»Ist Treue strafbar?«, drohender auch »Wenn unsere Kumpels bestraft werden, wird die Stadt im Müll ersticken«. Das hat ihr
die erste Schlagzeile in einem lokalen Boulevardblättchen eingebracht: »Rothaarige Exnonne als Müllkutscher-Jakobinerin!«
Auch sonst ist sie nutzbringend tätig: sie gibt den portugiesischen Kindern in Lenis Wohnung Deutschunterricht, unterhält
sich mit Bogakov über den gegenwärtigen Zustand der Sowjetunion, läßt sich von Grete Helzen »kosmetisch verwöhnen«, hilft
den verschiedensten Türken und Italienern bei der Ausfüllung von Formularen |487| für die Lohnsteuerrückerstattung. Sie telefoniert mit Staatsanwälten (anläßlich des noch laufenden Prozesses gegen die Müllwagenfahrer),
beschreibt (ebenfalls am Telefon) dem zuständigen Dezernenten das Chaos, das entstehen würde, wenn die Müllabfuhr streiken
würde. Etc. Etc. Daß sie hin und wieder der »Marquise von O...« eine Träne, dem »Landarzt« und der »Strafkolonie« mehrere
nachweint, ist wohl selbstverständlich, doch auch sie hat trotz aller Tränen noch nicht kapiert, was der Terminus »mit irdischem
Wagen, unirdischen Pferden« bedeuten könnte. Sehr, vielleicht zu radikal, hat sie sich von allem Unirdischen entfernt. Nicht
sie war es, die nach Gerselen drängte, Leni war es, die sie dort hindrängte, als sie erfuhr, daß dort tatsächlich ein Thermalbad
eröffnet werden soll. Muß erwähnt werden, wer als »Kurdirektor« und »Publicitymanager« vorgesehen ist? Kein anderer als Scheukens,
der dort emsig mit Blaupausen umherrennt, mit Handwerkern und Architekten herrische Telefonate führt und ein probates Mittel
gefunden hat, die »verfluchte Rosenplage notfalls mit Gewalt« einzudämmen. Im Umkreis von fünfzig Metern um die »unersetzliche
Quelle« hat er – eine Art Giftdrainage installiert, in der ein wüstes Pflanzenschutzmittel zirkuliert, das tatsächlich die
Rosen gestoppt hat. Dagegen kommt natürlich eine Handvoll Staub, die einmal Rahel Ginzburg hieß, nicht an. Immerhin hat Bogakov
schon mit Vergnügen die »Bekömmlichkeit« der Quelle für seine »verfluchte Arthritis« zu spüren bekommen. Seitdem er Lotte
mit Erfolg zur Lvw. veranlaßt hat, gehen die beiden häufig dort im Kurpark spazieren.
Natürlich hat K. als einzige der bisher erwähnten Personen, Mehmet eingeschlossen, begabt mit einer Fähigkeit, die ehemalige
Nonnen mit nicht-ehemaligen gemeinsam haben, Hartnäckigkeit und Ausdauer, sie hat, indem sie stundenlang schweigend Leni bei
der Malarbeit |488| zusah, kaffeekochend und pinselwaschend der Künstlerin beistand, Schmeicheleien nicht sparend, erreicht, daß sie die Madonna
im Fernsehen erleben durfte. Ihr Kommentar ist platter als Druckerschwärze erlauben sollte: »Es ist sie selbst, sie, sie ist
es, die da aufgrund noch zu klärender Reflektionen sich selbst erscheint.« Immerhin bleiben da die »noch zu klärenden Reflektionen«,
und es bleiben düstere, wenig Gutes versprechende Gewitterwolken am Hintergrund: Mehmets Eifersucht und seine inzwischen bekundete
Abneigung gegen Gesellschaftstanz.
Informationen zum Autor
Heinrich Böll , geboren am 21. Dezember 1917 in Köln, gestorben am 16. Juli 1985 in Kreuzau (Kreis Düren).
Heinrich Böllwar Sohn eines Tischlers und Holzbildhauers, in dessen Hause in Köln ab 1933 Zusammenkünfte verbotener katholischer Jugendverbände
stattfanden. Nach einem gerade begonnenen Studium der Germanistik und klassischen Philosophie wurde Böll 1939 zur Wehrmacht
eingezogen. Er desertierte 1944 und kehrte 1945 aus der Kriegsgefangenschaft nach Köln zurück, wo er sein Studium wieder aufnahm
und in der Schreinerei seines Bruders arbeitete. Ab 1947 publizierte er in Zeitschriften und wurde 1951 für die Satire
Die schwarzen Schafe
mit dem Preis der
Gruppe 47
ausgezeichnet.
Fortan war er als freier Schriftsteller tätig. Außerdem übersetzte er, gemeinsam mit seiner Frau Annemarie, englische und
amerikanische Literatur (u. a. George Bernard Shaw und Jerome D.
Weitere Kostenlose Bücher