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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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den Vordergrund
     drängen muß) auf die Idee, bei der Flurschwester um einen jener Ständer zu bitten, an denen Flaschen mit Infusionsflüssigkeiten
     aufgehängt werden; unter Zuhilfenahme eines Stückes Draht und dreier Wäscheklammern wurde in Zusammenarbeit mit der (übrigens
     reizenden) Flurschwester eine Konstruktion gefunden, die Bogakov erfreut als »bekömmlichen Rauchgalgen« bezeichnete; mit zwei
     Wäscheklammern wurde der Draht schlaufenförmig in den Galgen gehängt, die dritte Wäscheklammer in Bogakovs Mundhöhle befestigt,
     in letztere eine Zigarettenspitze eingeklemmt, an der Bogakov nun nur noch zu saugen brauchte, wenn der »faschistische Gurkenfresser
     oder der heimwehkranke Kerl mit der GPU-Visage« ihm die Zigarette entzündet und in die Spitze gesteckt hatten. |205| Daß der Verf. auf Grund der Konstruktion des »bekömmlichen Rauchgalgens« bei B. gewisse Sympathien erworben hatte und damit
     dessen Gesprächigkeit förderte, läßt sich nicht leugnen, so wenig wie die Tatsache, daß er dessen bescheidenes Taschengeld
     von 25 Mark monatlich durch Zigarettengeschenke aufbesserte, nicht nur – wie er an Eides Statt versichert – aus egoistischen
     Gründen. Nun zu Bogakovs statement , das hin und wieder durch asthmatische Atempausen und durch Rauchen unterbrochen wurde, hier aber pausenlos, lückenlos in
     protokollarischer Form wiedergegeben wird.
    »Absolut bekömmlich war unsere Lage natürlich nicht! Relativ natürlich bekömmlich, ja. Was Boris Koltowski betrifft, so war
     der völlig, aber auch völlig ahnungslos und fand es schon einen phantastischen Glückszufall, daß er überhaupt in unser Lager
     gekommen war. Daß jemand dahintersteckte, muß er geahnt haben, aber erfahren, wers war, hat er erst später; sich denken können
     hätte ers. Während wir unter allerstrengster Bewachung gerade noch für würdig befunden wurden, brennende Häuser einzureißen
     oder zu löschen, Bombenschäden in Straßen und an Eisenbahnschienen zu reparieren – und wers riskierte, auch nur einen Nagel,
     ja, nur einen einfachen Nagel, und ein Nagel kann für einen Gefangenen eine Kostbarkeit sein, einzustecken, der konnte, wenn
     er geschnappt wurde, und er wurde geschnappt, getrost sein Leben als beendet betrachten –, wir also machten das, und dieser
     ahnungslose Knabe wurde jeden Morgen von einem gutmütigen deutschen Wachsoldaten abgeholt, der ihn in diese höchst bekömmliche
     Gärtnerei brachte. Dort verbrachte er bei leichter Arbeit die Tage, später sogar halbe Nächte, und er hatte sogar – das hab
     nur ich gewußt, und ich hab, als ichs erfuhr, um den bekömmlichen Kopf des Jungen gebangt wie um den Kopf meines eigenen Sohnes
     – ein Mädchen, eine Geliebte! Wenn es uns |206| nicht mißtrauisch machte, machte es uns neidisch, und beides ist, wenn auch nicht bekömmlich, so doch reichlich unter Gefangenen
     anzutreffen. In Witebsk, wo ich nach der Revolution auf die Schule ging, hatten wir nen Schulkameraden, der wurde morgens
     mit dem Pferdewagen, also regelrecht mit dem Taxi, zur Schule gebracht – so kam uns Boris vor. Später, als er Brot, sogar
     Butter, manchmal Zeitungen, immer aber Meldungen über die Kriegslage mitbrachte – und sogar sensationell solide Kleidungsstücke,
     wie sie nur ein Kapitalist getragen haben kann –, besserte sich seine Situation ein wenig, aber bekömmlich wurde sie noch
     nicht, weil Viktor Genrichovič, der sich bei uns zum Kommissar aufgeschwungen hatte, nicht glauben wollte, daß es sich bei
     Boris’ vielen Bekömmlichkeiten um einen jener von Bourgeois genannten Zufälle handelte, die – so Viktor Genrichovič – der
     geschichtlichen Logik widersprachen. Das Schreckliche daran war, daß er letzten Endes herausbekam, daß er recht hatte. Wie
     ers rausbekommen hat, das wissen sämtliche Himmel nicht. Jedenfalls nach sieben Monaten wußte ers: Boris hatte in Berlin noch
     1941 in der Wohnung seines Vaters dessen Freund, den Herrn (hier fiel jener Name, den der Verf. nicht zu publizieren sich
     verpflichtet hat), kennengelernt. Boris’ Vater nun wurde nach Kriegsausbruch zum Nachrichtendienst versetzt, war einer der
     Kontaktmänner für sowjetische Spione in Deutschland und benutzte einen seiner zahlreichen Drähte und Briefkästen, um den Herrn
     von der Gefangenschaft seines Sohnes zu benachrichtigen und ihn um Hilfe zu bitten. Zeitgemäß interpretiert: er mißbrauchte
     sein Amt, um landesverräterische Beziehungen zu einem

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