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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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noch sorgfältig mit einem Taschentuch ab,
     ging zu ihrer Kaffeekanne, schüttete die zweite Tasse, die drin war – es waren so Zwei-Tassen-Kännchen, wissen Sie – ein und
     bringt sie seelenruhig dem Russen, ohne den Kremp auch nur anzusehen. Nicht stumm tat sies. Nein, sagte auch noch: ›Bitte
     sehr.‹ Jetzt kams auf den Russen an. Der wußte wohl, wie politisch die ganze Situation war – ein nervöser, übersensibler Junge,
     das sage ich Ihnen, von einem Feingefühl, da hätte sich mancher ne Scheibe abschneiden können, blaß, mit seiner komischen
     Nickelbrille und seinem hellblonden, ein bißchen krausen blassen Haar, sah ja fast wien Engelchen aus, der Junge –, was tut
     er, was tat er? Immer noch tödliches Schweigen, und jedermann spürt, daß hier Entscheidendes passiert. Leni hat das Ihre getan
     – was tut er? Nun, er nimmt den Kaffee, sagt laut und deutlich, in einem makellosen Deutsch: ›Danke, mein Fräulein‹ – und
     fängt an, ihn zu trinken. Schweißtropfen auf seiner Stirn, und Sie müssen sich vorstellen, der hatte wahrscheinlich schon
     ein paar Jahre keinen Tropfen Bohnenkaffee oder Tee bekommen – es wirkte auf ihn wie ne Spritze auf nen ausgemergelten Körper.
     Nun, zum Glück war damit das entsetzlich gespannte, tödliche Schweigen zu Ende – die Hölthohne seufzt erleichtert auf, der
     Kremp knurrt irgendwas von ›Bolschewiken – Kriegerwitwe – Kaffee für Bolschewiken‹, der Grundtsch lacht zum zweitenmal, ich
     spucke zum zweitenmal, so unkontrolliert, daß ich fast |226| Kremps Prothese getroffen hätte – und das wäre ja ein Sakrileg gewesen. Die Schelf und die Wanft schnaufen empört, die anderen
     erleichtert. Und nun war Leni ja ohne Kaffee – und was tut meine Ilse, die Kremer? Nimmt von ihrem Kaffee, gießt der Leni
     ein und bringt ihn ihr, spricht sogar deutlich dabei und sagt: ›Du kannst doch dein Brot nicht trocken runterwürgen‹ – und
     der Kaffee von der Ilse war auch nicht ohne. Die hatte nämlich nen Bruder, der war ein ganz schöner Nazi und irgendwas Hohes
     in Antwerpen, und der hat ihr immer Rohkaffee mitgebracht – nun ja. Das wars. Das war Lenis Entscheidungsschlacht.«
     
    Dieser entscheidende Auftritt Lenis Ende 43/Anfang 44 erschien dem Verf. so wichtig, daß er umfangreiche weitere Informationen
     darüber sammeln wollte und noch einmal alle Überlebenden dieser Szene aufsuchte. Vor allem schien ihm die Dauer des »tödlichen
     Schweigens« von Pelzer als zu lang angegeben. Der Verf. ist der Auffassung, daß hier eine Literarisierung vorliegt, die geklärt
     werden muß, denn seiner Meinung und Erfahrung nach kann »tödliches Schweigen« nie länger als dreißig, vierzig Sekunden dauern.
     Die Kremer – die übrigens ihren Nazibruder und Kaffeelieferanten gar nicht verleugnet! – taxiert das tödliche Schweigen auf
     »drei bis vier Minuten«, die Wanft: »Die Szene ist mir deutlich in Erinnerung, und ich werfe mir bis auf den heutigen Tag
     vor, daß wirs so haben durchgehen lassen und damit für die Dinge, die kamen, eine Art Zustimmung gegeben haben – tödliches
     Schweigen? Verächtliches Schweigen, würde ich sagen – wie lange das gedauert hat? Wenn es Ihnen so wichtig ist: ich würde
     sagen: ein bis zwei Minuten. Wir hätten eben nicht schweigen dürfen und nicht schweigen sollen. Unsere Jungs draußen und froren
     und den Bolschewiken immer auf den Fersen (im Jahre 44 war das nicht mehr so, da |227| waren die Bolschewiken ›unseren Jungs auf den Fersen‹, historische Korrektur des Verf.), und der hockt da im Warmen und kriegt
     auch von dieser Nutte noch 1:3-Kaffee.« Die Hölthohne: »Nun, mir lief es eiskalt über den Rücken, ich hatte regelrecht eine
     Art Schüttelfrost, kann ich Ihnen versichern, und ich fragte mich, wie später noch so oft: Weiß Leni denn, was sie da tut?
     Ich habe sie bewundert, ihren Mut und die Selbstverständlichkeit und die verdammte Ruhe, mit der sie während dieses tödlichen
     Schweigens die Tasse spülte, abtrocknete und so weiter, es war eine – ich würde sagen kaltblütige – Herzlichkeit und Menschlichkeit
     darin, verdammt noch mal – nun, die Dauer: Ich sage Ihnen, es war eine Ewigkeit – ganz gleich, obs drei oder fünf Minuten
     oder nur achtzig Sekunden waren. Eine Ewigkeit, und zum erstenmal habe ich was wie Sympathie für Pelzer empfunden, der ganz
     offensichtlich auf Lenis Seite war und gegen Kremp – und die Spuckerei wirkte ja ziemlich vulgär, war aber in

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