Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Kaffeekännchen – angesichts der Kaffeeversorgungslage eine extreme Vertrauensstellung für die Ilse, denn wer hätte schon was
gemerkt oder angenommen, sie hätte je auch nur ein Viertel Lot aus einer guten in ihre manchmal schlechte Tüte getan? Das
nannte man bei den Kommunisten Solidarität, und davon haben die Nazis Kremp und Wanft und Schelf ganz nett Gebrauch gemacht.
Niemals wäre auch nur einer auf die Idee gekommen, der Wanft oder der Schelf oder gar diesem Vollidioten Kremp das Kaffeekochen
zu überlassen: die hätten sich doch gegenseitig das Kaffeepulver vertauscht. Dazu muß man noch sagen, daß bei dem Kremp meistens
nichts zu vertauschen gewesen wäre, der war viel zu doof und zu korrekt und trank meistens Ersatz pur – und dann die Gerüche,
wenn der Kaffee ausgeschenkt wurde: damals rochen Sie doch sofort, welcher Kaffee auch nur ne Spur echten enthielt – und da
war Lenis Kaffeekanne eben die, die am schönsten roch – nun, gut. Was glauben Sie, was da alles an Neid, Mißgunst, Eifersucht,
ja an Haß und Rachegedanken fällig war, wenn schon nur um Viertel nach 9 die Kaffeepötte verteilt wurden? Und meinen Sie,
Anfang 44 hätte die Polizei oder die Partei es sich noch leisten können, jeden einzelnen wegen – was weiß ich, wie das hieß,
›Verstoß gegen die Kriegswirtschaft‹ – zu verhören und anklagen zu können? Die waren doch froh, wenn die Leute, egal woher,
ihr bißchen Kaffee bekamen. Nun gut – und was tut unsere Leni am ersten Tag, wo der Russe bei uns auftaucht? Sie schenkt dem
Russen eine Tasse von ihrem Kaffee ein – 1:3 müssen Sie wissen, während der Kremp seine flaue Plempe schlürfte –, schenkt
dem Russen aus ihrer Kanne Kaffee in ihre Tasse ein und bringt sie ihm rüber an den Tisch, wo er in den ersten Tagen mit Kremp
zusammen im Kranzkörperkommando arbeitete. Das war für die Leni eine Selbstverständlichkeit, jemand, der weder ne Tasse noch
Kaffee hatte, eine Tasse Kaffee anzubieten |224| – aber glauben Sie, die hat geahnt, wie politisch das war. Ich habe gesehen, daß sogar die Ilse Kremer blaß wurde – die wußte nämlich, wie politisch das war: einem Russen eine Tasse 1:3-Kaffee bringen, der mit seinem Duft alle anderen Plempegemische
sowieso totschlug. Was tut der Kremp? Der sitzt meistens da, hat seine Beinprothese bei der Arbeit abgeschnallt, weil sie
ihm noch nicht richtig saß, er nimmt also die abgeschnallte Prothese von dem Haken an der Wand – was meinen Sie, wie hübsch
das aussah, immer so ein künstliches Bein da an der Wand – und schlägt dem völlig verwirrten Russen die Tasse aus der Hand.
Was folgt: tödliches Schweigen nennt man das, glaube ich, aber auch dieses sogenannte tödliche Schweigen – so nennt mans in
der Literatur, in den Büchern, die ich jetzt manchmal lese – hatte noch Variationen: zustimmend tödlich wars bei der Schelf
und der Wanft, neutral tödlich bei der Heuter und der Zeven, sympathisch tödlich bei der Hölthohne und der Ilse. Nun, erschrocken , das kann ich Ihnen sagen, waren wir alle, bis auf den ollen Grundtsch, der neben mir in der Bürotür lehnte und einfach lachte.
Der hatte gut lachen, der galt als unzurechnungsfähig und hatte nicht viel zu befürchten, obwohl ers faust-, was sage ich,
doppelfaustdick hinter den Ohren hatte. Was ich getan habe? Ich habe von der Bürotür aus vor Nervosität in die Werkstatt gespuckt
– und wenns das gibt, und wenn es mir gelungen ist, das auszudrücken, dann wars eine total ironische Spucke, die weit näher
bei Kremp als bei Leni landete. Mein Gott, wie kann man politisch wichtige Details erklären: daß meine Spucke näher bei Kremp
als bei Leni landete, und wie wollen Sie beweisen, daß die Spucke ironisch gemeint war? Immer noch tödliches Schweigen, und
was tut Leni, während na, sagen wir, ne Art atemlose und angstvolle Spannung herrscht? Was tut sie? Sie hebt die Tasse auf,
die wegen der herumliegenden Torfmullreste |225| weich gefallen und nicht kaputtgegangen war, sie hebt sie auf, geht zum Wasserhahn, spült sie sorgfältig – es war schon provozierend,
wie sorgfältig sie das tat –, und ich glaube, von diesem Augenblick an tat sies absichtlich provozierend. Mein Gott, Sie wissen
doch, daß man so ne Tasse rasch mal ausspülen kann, meinetwegen auch gründlich, aber sie spülte sie, als wärs ein heiliger
Kelch – dann tat sie, was vollkommen überflüssig war – trocknete die Tasse auch
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