Grusel Box: Drei Mystery-Thriller (German Edition)
lauschen.
Nein, das war das Denken der Sterblichen, begehrend und eitel und vernichtend. Aber sie war doch eine Sterbliche. Eine Mutter zweier wunderbarer Jungs. Solange Archer es nicht verlangte, würde sie sie nicht aufgeben.
Linda ging zum Kühlschrank. Durch einen Bananen-Magneten war dort eines von Ronnies Gedichten aus der Schule angebracht. Sein Lehrer hatte eine große rote Eins in einem Kreis in die Ecke des Blattes gezeichnet. Es hieß »Der Baum«.
Der Baum hat Arme,
die umarmen,
nicht so warm wie Mom.
Manchmal, wenn ich vorbeikomme,
winkt der Baum
und ich renne davon.
Der Baum bellt mich an.
Ronnie ging es den Umständen entsprechend. Er hatte seit seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus die meiste Zeit geschlafen. Sein Gesicht war blass und seine Nase war unter der Bandage verborgen. Einmal hatte er Blut erbrochen und Flecken auf den Teppich im Kinderzimmer gemacht. Nun roch es nach Teppichreinigungsspray, aber glücklicherweise war es warm genug, die Fenster offen zu lassen.
Linda nahm ein paar rohe Hamburger aus dem Kühlschrank. Sie hatten ihre letzte Kuh im vorherigen Herbst geschlachtet. Linda fragte sich, ob die tote Kuh als Opfer zählte. Vielleicht für den Gott der Kühe. Sollte sich Archer über so etwas Gedanken machen.
Tim kam durch die Hintertür herein.
»Komm und wasch dir die Hände, Liebling«, sagte sie und versuchte dabei, das Geräusch des fließenden Wassers, mit dem sie Kartoffeln wusch, zu übertönen.
»Sie tun weh.« Seine Stimme klang nur ein bisschen weinerlich.
»Ich weiß. Du wirst dich daran gewöhnen.«
Tim kam zur Spüle und sah die Hamburger. »Das sieht aus wie das Gesicht von dem Mann.«
»Genug davon, Liebling.«
»Ich hab letzte Nacht von ihm geträumt.«
»War es unheimlich?« Sie suchte auf seinem Gesicht nach Schwäche. Alles, was sie sah, waren Davids Augen, das hartnäckige Geschenk der Genetik. Sie trat zur Seite, damit sich Tim die Hände waschen konnte.
Die Spüle wurde rotbraun vom Dreck. »Nein. In meinem Traum war der Friedhof irgendwie dunkel, aber es war kein schlechtes Dunkel. Eher ein lustiges, so wie Fasching oder sowas. Und der tote Mann war aufgeschlitzt und so, aber er ging zwischen den Grabsteinen umher.«
»Du bist ein mutiger Junge. Mir hätte das bestimmt Angst gemacht.« Näherte sich Archer den Jungen? Oder war es nur der übliche Streich eines Traums gewesen?
Tim stellte das Wasser ab und trocknete sich die Hände an dem Küchentuch, das vom Knauf eines Küchenschranks hing. »Da war noch eine Person, ein Junge, bei der Kirche. Nur, dass die Kirche keine Kirche war, sie war beleuchtet wie eine Geisterbahn. Der Junge war oben auf dem Dach, dort wo die Glocke ist, und er lachte und lachte und lachte und läutete die Glocke. Und der tote Mann tanzte zwischen den Grabsteinen, während Teile seines Körpers herunterfielen.«
Archer. Es musste Archer sein. Die Wahrheit hat viele Gesichter , sagte er immer. »Nun, du musstest einiges durchmachen. Kein Wunder, dass du so einen komischen Traum hattest«, sagte Linda und gab zwei runde Hamburger-Scheiben in eine schwarze Eisenpfanne auf dem Herd. Durch die Hitze zischte das Fleisch, das weiße Rauschen der Energieumsetzung.
»Der Traum war nicht halb so schlimm wie mit dem Sheriff zu reden. Oder Ronnie im Krankenhaus zu sehen.«
Der Sheriff. Kein Wunder, dass Tim befürchtet hatte, dass ihn der Mann verhaften wollte. Der Sheriff hatte wie ein Soldat im Krankenhausfoyer gestanden und Tim mit seiner tiefen, geduldigen Stimme Fragen gestellt. Er war eine Gefahr. Aber er war vom alten Blut und er hatte seine eigenen Schulden zu begleichen. Archer würde schon mit ihm fertig werden.
Die Burger brutzelten, als sie sie wendete. Kleine Funken des Schmerzes schossen ihre nackten Arme hoch, als heißes Fett auf ihre Haut spritzte. Der Signalton der Mikrowelle ertönte. »Das Abendessen ist fertig«, sagte sie.
Während Tim am Küchentisch aß, brachte sie Ronnie Apfelsaft. Sie schaltete das Licht an und er stöhnte. »Es ist okay, Liebling«, sagte sie. »Ich hab dir was zum Trinken gebracht.«
Er lag fiebrig und blass auf dem Kopfkissen. Seine Nase war noch mit Tamponade ausgestopft und ein blutiger Faden von Gaze hing aus einem Nasenloch.
»K–kein Durst«, sagte Ronnie.
Sie saß neben ihm auf dem unteren Bett. Als der Ältere schlief er normalerweise oben, aber sie wollte nicht riskieren, dass er in der Nacht herunterfiel. Archer würde ihn heil und gesund haben wollen. Nicht
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