GU Liebevolle Gebote fuer ein erfuelltes Leben
riesiges Missverständnis vor: Es sollte beim Verzeihen nicht in erster Linie um den Täter gehen, sondern um das Opfer, also um diejenige Person, der Leid und Unrecht zugefügt wurde! Das Opfer muss ganz sicher niemandem verzeihen. Aber es ist klug und für die eigene Seele heilsam, zu verzeihen – damit der Schaden, der durch das Unrecht zugefügt wurde, nicht zum Dauerschaden wird. Damit nicht immer weiter neues Salz in die Wunde gestreut wird. Denn das raubt nur Energie und Freude, die dann anderswo fehlen.
Wiedergutmachung ist wichtig
Und wo wir gerade schon bei Missverständnissen sind: Es ist zwar gesund, dem Täter zu verzeihen, aber die Tat wird dadurch nicht ungeschehen gemacht! Wer verzeiht, kann einen Weg finden, zu akzeptieren, was passiert und nicht mehr zu ändern ist, im besten Fall sogar zu verstehen, warum der Täter so gehandelt hat. Aber selbstredend muss der Schaden ersetzt werden, der Täter muss Verantwortung übernehmen und sich um Wiedergutmachung bemühen.
Schließlich darf Verzeihen auch niemals bedeuten, etwas herunterzuschlucken, zu verdrängen, in sich zu ersticken. Das führt nur dazu, dass das Unrecht weitergärt und in der Seele eine Giftmülldeponie entsteht, die zusätzlich Schaden anrichtet.
Verzeihen heißt: Unrecht aus- und ansprechen. Auf Wiedergutmachung bestehen. Und dann die Wunde heilen lassen und sich von der entstandenen Last befreien. Schließlich: wieder atmen können, wieder frei sein für das Leben.
»Ich sehe einen enormen Knoten in den Herzen der Menschen, auch unter Freunden. Irgendwelche Enttäuschungen, ein Missverständnis, eine Rechthaberei, die dann dazu führen, dass die besten Freundschaften kaputtgehen. Ich kann jedem von euch nur sagen: Verzeih, befrei dich. Frag nach, was los war, und wirf die Freundschaft nicht einfach weg.«
Alfredo zieht die Vorhänge auf und lässt Licht in sein Herz
Alfredo hatte nach mir geschickt. Er wohnte in der Nachbarschaft und wollte mich sehen. Mit Kirche hatte er nicht viel am Hut, aber ich sollte zu ihm kommen. Sobald ich konnte, ging ich hin.
In Alfredos Zimmer war es stockfinster, schwarze Tücher verdunkelten die Fenster. Um mich orientieren zu können, machte ich für einen Moment das Licht an. Ich erschrak über Alfredos Aussehen. Er hatte Leberkrebs, schon ziemlich weit fortgeschritten. Er wollte leben, wusste aber, dass er todgeweiht war.
Die Dunkelheit des Nicht-Verzeihens
Aus irgendeinem Grund war mein Besuch wichtig für ihn. So streichelte ich seine Hand und versuchte, ihm Mut zu machen. »Es ist nicht gut, so lange im Dunkeln zu sein. Wie lange geht das jetzt schon so?«
»Vierzehn Tage.«
»Nein, das ist gar nicht gut.«
»Ich will kein Licht. Meine Seele ist dunkel, mein Herz auch. Ich werde sterben. Sterben ist auch schwarz.«
Ich spürte, dass er auf eine Antwort von mir spekulierte, die ihm Gesundung versprechen würde, und ich sagte: »Aber du bist noch nicht am Weggehen. Was ist los mit dir?«
»Ich verzeihe nicht, ich kann nicht verzeihen. Meine erste Frau hasst mich. Und meine zehn Kinder – stell dir vor: zehn Kinder! – sind jetzt alle erwachsen. Die haben mich alle nicht besucht, nicht ein Mal. Ich möchte weder meine Frau noch meine Kinder wiedersehen.«
»Vielleicht wissen sie es ja nicht einmal? Wenn du willst, kann ich mit deiner Frau reden und mit deinen Kindern.« Ich war mir nicht sicher, ob er es wollte. Alfredo war schon seit zwanzig Jahren von seiner Frau getrennt. Mit seiner zweiten Frau Juana – sie waren nicht verheiratet – hatte er einen Sohn. Juana umgab ihn mit all ihrer Liebe. Alfredo hingegen lebte in der Dunkelheit des Nicht-Verzeihens.
»Ich kann nicht beten. Kannst du für mich beten?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich, »aber ich habe eine Bedingung. Ich brauche etwas Licht für deine Seele.«
Juana und ich bekamen die Erlaubnis, die Tücher vom Fenster wegzunehmen. Gemeinsam beteten wir. Er bat mich wiederzukommen. Ich sprach Juana und dem Sohn Mut zu, dann ging ich.
Noch mehrmals kam ich dorthin. Alfredo wollte weder Licht noch Helligkeit in seinem Zimmer, und er wollte auch nichts von seiner gelben Gesichtsfarbe wissen.
Eine langjährige Fehde
Seine erste Familie wohnte nur 250 Meter entfernt. Ich benachrichtigte sie, was ich Alfredo aber verschwieg, um keine Hoffnungen zu wecken, die sich vielleicht nicht erfüllen würden.
»So lange schon habe ich sie nicht mehr gesehen«, klagte Alfredo.
»Es tut mir leid. Aber es gibt nur einen Weg: Du kannst
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