GU Liebevolle Gebote fuer ein erfuelltes Leben
wussten, hier würde er sterben: Das Krankenhaus verfügte nicht über eine entsprechend ausgestattete Intensivstation. So brachte ich ihn von dort auf die Intensivstation des privaten Arbeiterunfallkrankenhauses der Versicherungsgesellschaft ACHS, damit er dort von einem mit uns befreundeten Rückenspezialisten umsonst behandelt werden konnte.
Es entstanden keine Arztkosten – aber das Krankenhaus bestand auf einem Blankoscheck für das Bett. In meiner Not stellte ich einen Scheck aus, den ich mir von der Cristo Vive geliehen hatte.
Diego, dieser unglaubliche Diego, wollte leben. Als er wieder zu sich kam, erzählte er mir, dass er eine Nahtoderfahrung gehabt habe. In ihr hatte er eine Botschaft, eine Mission, wie er es nannte, erhalten: »Sei da für die Menschen!« lautete sie.
Die gläserne Welt einer Chefetage
Nach zwei Monaten wurde Diego im Rollstuhl entlassen. Und sofort erhielt ich vom Krankenhaus eine Rechnung: 40 000 Euro sollten innerhalb kürzester Zeit überwiesen werden! Es war, als würde mich der Schlag treffen.
Ich bekam einen Gesprächstermin beim Vorstandsvorsitzenden der ACHS. Ich rüstete mich mit Fotos von Diego, die wir aufgenommen hatten, als er zu uns kam. Wieder schaute mich das Hungerbündel mit dem Greisengesicht an. Aber ich nahm auch Fotos mit, auf denen Diego mit leuchtenden Augen in die Kamera blickte, während er mit den Straßenkindern zum Pfadfinderlager aufbrach. Schließlich noch solche Fotos, wie er jetzt im Rollstuhl saß.
Ich betrat eine andere Welt. Eine elektronische Karte – damals noch eine absolute Besonderheit – schloss den Aufzug auf und ich glitt geräuschlos durch gläserne Konstruktionen bis zur Chefetage. Dort kam ich in ein imposantes Chefzimmer, mit Panoramafenstern und Blick über ganz Santiago.
Nun, ich erzählte Diegos Geschichte, zeigte die Fotos, wies darauf hin, dass wir von Cristo Vive für alle unsere Mitarbeiter, einschließlich Diegos Adoptivmutter, bei der ACHS einzahlten.
Mehr als ein müdes Lächeln erreichte ich nicht. Er dankte für Diegos Geschichte, sagte aber: »Sie verstehen, Madre, Diego ist kein Mitarbeiter.« Da sei nichts zu machen. Mehr als der schon gewährte Nachlass gehe nun wirklich nicht.
Ich war geschockt, konnte aber noch nicht aufgeben. Meine Überzeugung, dass die Gesellschaft eine Verantwortung für alle Kinder hat, gleich in welchem Teil der Stadt sie geboren wurden, dem armen oder dem reichen; mein Appell an seine Verantwortung als Chilene für sein Volk – nichts davon erreichte ihn.
Warum weine ich?
Um meine Fassung war es geschehen, fast fluchtartig verließ ich den Raum. Ich fand mich vor einem riesigen Fenster mit Blick auf Santiago wieder und brach in lautes Weinen aus. Zuallererst aus Wut über mich selbst: Wie hatte ich diesem Menschen nur die herzzerreißenden Bilder von Diego zeigen können? Den Aufzug wollte ich nicht mehr nehmen, die vielen Treppen hinunter kamen mir gerade recht.
Ich fuhr im Bus zurück ins Armenviertel. Zum Glück konnte ich allein sein. Die Tränen rannen mir über die Wangen. Die Fotos fest gegen meine Brust gedrückt, saß ich auf meinem Sitz.
Wie ein Blitz schoss mir auf einmal die Frage aus dem Herzen: »Warum weine ich?« Ja, warum eigentlich? Weil Diego schon wieder für seine Armut mit seinem Leben bezahlt hätte, wenn wir ihn nicht verlegt hätten? Weil sich ein Herz dieser Einsicht verweigert hatte und hart blieb? Weil ich mich mit gedemütigt fühlte?
Nein und noch mal nein. Ich weine, weil ich liebe! Es hat mich doch niemand gezwungen, zum Vorstand der ACHS zu gehen und die Fotos zu zeigen! Ich weine, weil ich liebe, einfach weil ich aus ganzem Herzen und mit meiner ganzen Freiheit liebe. Niemand verlangt das von mir – ich bin frei. Aber ich will. Ich will mein Leben verschenken. Ich finde grandiose Büros mit Panoramablick über die ganze Stadt auch schön. Aber sie sind nichts, wirklich nichts im Vergleich dazu, Menschen zu lieben! In Freiheit alles aufs Spiel zu setzen für diese Liebe. Für Diego und für so viele andere.
Ein ganz besonderer Mensch
Plötzlich war nur noch Licht in meinem Herzen. Und das Gefühl einer unbeschreiblichen Kraft, die sich mit der inneren Gewissheit verband: Die Liebe überwindet die größten Probleme.
Über zehn Jahre haben wir mit Spendengeldern, die wir extra dafür geworben haben, die Schulden für Diegos Behandlung abbezahlt. Diego hat noch viele Jahre gelebt. Er starb im April 2012 in einem öffentlichen Krankenhaus. Jeden
Weitere Kostenlose Bücher