Guardian Angelinos (03) – Sekunden der Angst
Hand vor den Mund schlug und sich sonstwohin wünschte, weil sie so blöd gewesen war, laut zu schreien. Die sturzbetrunkene Joellen würde sie sowieso nicht hören, aber vielleicht jemand anders. Jemand, der Kabel durchtrennt und den Strom sowie den Alarm ausgeschaltet hatte.
Vielleicht würde er Joellen umbringen, und nicht sie. Würde er im Dunkeln wissen, ob er die richtige Schwester vor sich hatte? Wusste er überhaupt, dass sie sich im Haus befand? In dieser Badewanne? Nicht, wenn sie ganz ruhig blieb, mucksmäuschenstill.
Sie schloss die Augen und versuchte zu lauschen. War das ein Knarren? Der Wind? Eine Tür, die sich langsam öffnete? Ihr Körper begann trotz des angenehm temperierten Wassers zu zittern – vor Kälte und nackter Angst.
Ohne das Brummen auch nur eines einzigen elektrischen Geräts war es unnatürlich still im Haus. Sie biss die Zähne aufeinander, um ja keinen Laut von sich zu geben. War das ein Fußtritt? Eine quietschende Türangel? Das Knacken einer Holzdiele? Hörte sie jemanden ganz in der Nähe atmen?
Sie schloss wieder die Augen, um sich ganz auf ihren Gehörsinn zu konzentrieren. War das bloß das Geräusch ihrer eigenen panischen Atemzüge? Sie hätte es nicht zu sagen vermocht. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, so laut, dass es sich in ihrem Kopf wie eine Basstrommel anhörte, und ihr Puls schlug so heftig, dass sie spüren konnte, wie Blut und Adrenalin durch ihre Venen gepumpt wurden.
Ein bitterer Geschmack stieg in ihrer Kehle auf, und sie brachte ein schmerzhaftes Schlucken zustande. Das war definitiv ein Schritt, und noch einer.
Oh Gott. So geräuschlos wie möglich atmete sie durch den Mund ein, füllte ihre Lungen mit Luft, dann ließ sie ihren Hintern über die glatte Wannenoberfläche hinuntergleiten und tauchte den Kopf unter.
Bitte, bitte, finde mich nicht. Bitte, bitte, bitte …
Jemand schrie! Selbst unter Wasser konnte sie den hohen, endlos langen Heulton hören. Joellen? Wurde Joellen von jemandem überwältigt und erstochen, der dachte, er töte Cara Ferrari?
Ihre Lungen drohten zu platzen, doch sie weigerte sich, aufzutauchen. Sie wollte nicht sterben. Lieber versteckte sie sich feige und ließ ihre Schwester an ihrer Stelle ins offene Messer rennen.
Das laute Heulen hörte nicht auf! Es war ein einziges langes Kreischen, das nicht menschlich klang. Ihre Brust schmerzte vor Atemnot, ihr wurde schwindlig, in ihrem Kopf schien sich alles zu drehen, und sie fühlte sich sterbenselend.
Sie durchstieß mit dem Kopf die Wasseroberfläche, riss den Mund auf, japste nach Luft und …
Das Licht war wieder an. Das ganze Haus war wieder hell erleuchtet, und Lärm war zu hören. Viel zu viel Lärm! Das musste es gewesen sein, was sie gehört hatte: Die Alarmanlage war losgegangen.
Sie stemmte sich hoch, rutschte auf der glatten Wannenkeramik aus und schrie auf, als sie wieder ins Wasser platschte und ein anderes Geräusch in ihr Bewusstsein drang. Ein mechanisches. Ein vertrautes Dröhnen. Ein hochfrequentes Summen.
Der Fön war an!
Und lag gefährlich nah an der Kante des Waschtischs, direkt über der Badewanne. Sie streckte die Hand danach aus, rutschte jedoch erneut aus und rettete sich vor dem Sturz, indem sie nach der Platte des Waschtischs griff. Dabei warf sie das leere Schnapsglas um, das knirschend auf dem Boden zerbrach. Sie wich vor den umherfliegenden Glassplittern zurück, und durch die abrupte Bewegung rutschte der Fön über die Kante.
Eine unendlich scheinende Schrecksekunde lang starrte sie auf das Gerät, das wie in Zeitlupe gefilmt durch die Luft segelte, scheppernd auf dem Badewannenrand auftraf und dort gefährlich kippelnd hin und her schwankte. In welche Richtung würde der Fön kippen?, fuhr es ihr durch den Kopf. Zu Boden oder …
In die Badewanne!
»Aaaaah!« Sie machte geistesgegenwärtig einen Satz über den Wannenrand, griff Hilfe suchend nach der Handtuchstange, riss sie dabei aus der gekachelten Wand, landete auf dem harten Fliesenboden und zerschnitt sich an dem zerbrochenen Glas die Knie.
»Karen!« Joellen stand im Türrahmen. »Oh mein Gott!«
Hinter Cara plumpste der Haartrockner ins Wasser und ließ blaue und weiße Bögen aus elektrischen Funken in die Luft schießen, bis ein Kurzschluss das Spektakel beendete.
Der Alarm verstummte urplötzlich, und nur noch Caras qualvolle Atemzüge waren zu hören.
»Verfluchte Scheiße, dieses Ding hätte dich umbringen können«, sagte Joellen.
Ach nee. »Wer hat denn den
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