Guardian Angelinos: Die zweite Chance (German Edition)
Sam.«
Sie tat es, wich zurück, und der Mund blieb ihr offen stehen. »Oh.«
Ja, oh.
Ihre Reaktion bestätigte ihm zweierlei: erstens, Vivi hatte ihr Versprechen gehalten und Sam nie ein Wort gesagt, und zweitens, seine Visage war noch hässlicher, als er gedacht hatte. Sonst wäre diese eine Silbe, durch die ihr Mund sich öffnete wie früher, um ihn zu küssen, nicht so voller Mitleid gewesen. Und Überraschung. Und, verdammt noch mal, Enttäuschung.
»Schön zu sehen, dass du dich nicht so stark verändert hast wie ich, Sam.« Er konnte nicht anders. Er streckte die Hand aus, um mit seinen Fingerrücken über ihre samtige Haut zu streicheln, und seine Hand brannte wie Feuer in der Erinnerung an dieses schöne Gesicht.
»Du … bist … da drüben … verwundet worden.« Sie hob die Hand, um dasselbe bei ihm zu tun, aber er wich augenblicklich zurück, ihre Finger blieben unsicher in der Luft hängen, und ihr Blick verriet ihm, dass sie seine Reaktion als Scham missdeutete. »Tut mir leid.«
»Es ist nur ein Auge, und ich habe noch eins«, sagte er schnell. »Glaub mir, ich hab Kerle gesehen, die wesentlich mehr verloren haben.«
Sie starrte auf die Augenklappe, dann auf die Narbe an seiner Wange, dann richtete sie den Blick auf sein eines, heiles Auge. »Hast du deswegen nie angerufen?«
»Unter anderem.« Die anderen Gründe waren so durchgeknallt, dass er sie schön für sich behalten würde. Sollte sie ruhig denken, dass Eitelkeit der Grund war. »Ich dachte mir … zu viel Zeit ist seitdem vergangen.«
Sie antwortete nicht, aber ihr Blick sagte alles. Abscheu, Argwohn, Entsetzen. So sah es zumindest aus, und er hatte lang genug in der Dunkelheit auf sie gewartet, so dass er sie trotz der Klappe, die sein halbes Blickfeld verdeckte, scharf sah. Ganz genau konnte er die Strähnen in ihrem glatten blonden Haar erkennen, das aus einer Art hastig gemachtem Pferdeschwanz fiel, die Blässe ihrer Haut, ein leichter Schatten von Schlaflosigkeit unter indigoblauen Augen.
Ein Auto fuhr hinter ihm vorbei, und sie wich noch weiter in den Schatten zurück, ihr Blick huschte zwischen seinem Gesicht und der Straße hin und her, ihre Gesichtszüge waren verzerrt vor Anspannung und Angst.
»Was ist los, Sam?«
Die Lichter entfernten sich, als das Auto in die Beacon Street verschwand, doch ihre Miene blieb angespannt. »Ich hab dir doch gesagt, ich muss mit Vivi sprechen.«
»Um ein Uhr morgens – und verkleidet.«
»Es ist kompliziert.«
»Scheint mir auch so.«
Sie blickte zur Straße, sichtlich hin- und hergerissen. »Wann kommt sie zurück?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, wo sie ist.«
Sie runzelte die Stirn. »Wohnst du auch hier?«
Er brachte ein Achselzucken zustande. »Ich penne nur bei ihr, eine Zwischenlandung sozusagen.«
Ein paar Collegestudenten stiegen aus einem Auto und steuerten auf den Star Market an der Ecke zu. Sams Körperhaltung veränderte sich kaum merklich und wirkte noch wachsamer und vorsichtiger. Das Kaufhaus schloss um Mitternacht, was also hatten sie da zu suchen?
»Dann muss ich wohl wieder heimfahren«, sagte sie.
»Dein Taxi ist weg.«
Sie blickte ihn scharf an. »Du hast mich beobachtet ?«
»Auf dich gewartet.«
»Um mir aufzulauern?«
»Da ich schon wusste, dass du kommst, dachte ich einfach, es wäre höflich, dich an der Tür zu empfangen.«
»Von hinten«, bemerkte sie in vernichtendem Tonfall.
»Früher hast du darauf gestanden.«
Ihre Augen blitzten auf, aber nicht vor Kränkung oder Ärger, sondern wieder vor Angst. »Du hast hier draußen auf mich gewartet, und ich habe dich noch nicht mal gesehen.« Sie klang eher wütend auf sich selbst als auf ihn. »Du hättest sonst wer sein können. Du hättest … «
Sie machte einen Satz, als eine Autotür zugeschlagen wurde. Er hatte diese Reaktion auf ein lautes Geräusch schon mal gesehen. Er hatte selbst schon so reagiert . »Komm mit rein.« Verfluchte Scheiße. Was sollte er sonst tun? Er war schließlich so blöd gewesen zu schreiben, »komm ruhig her.«
Aber sie griff nach ihrem Telefon. »Ich rufe ein Taxi.« Bei dem verzweifelten Unterton in ihrer Stimme wurde ihm das Herz eng.
Er schob sie Richtung Tür. »Steck das Handy weg und geh rein. Ganz egal, warum du so durcheinander bist – da drin bist du sicher.«
»Wirklich, ich … ich kann nicht.«
Die zwei Männer, die gerade aus einem Kleintransporter gestiegen waren, liefen geradewegs die Tappan Street entlang, so nah, dass sie mit Sam
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