Guardian Angelinos: Tödliche Vergangenheit (German Edition)
mit silbrig weißen Locken und in grüner Jacke. Die Frau mit dem Namen Sharon war verschwunden.
Devyn hätte heulen mögen. »Sie ist weg«, seufzte sie frustriert.
Ein paar Autos fuhren vom Parkplatz in Richtung Autobahn. Keine Chance, sie noch einzuholen, selbst wenn Devyn mit rudernden Armen und langen Sätzen den Berg hinuntergerannt wäre.
»Kannst du mir mal verraten, wie du auf das schiefe Brett kommst, absolut harmlose Zeitgenossen brutal über den Haufen zu rennen? Wo ich dich vor gut einer halben Stunde förmlich anflehen musste, überhaupt einen Fuß auf diese Brücke zu setzen? Wer ist denn so unheimlich wichtig?«
Sie drehte sich um und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Warum sollte sie irgendjemandem erzählen, warum sie hier war? Ganz zu schweigen diesem Mann, den sie kaum kannte?
Weil sie diesem Mann vertrauen und das hier einfach nicht mehr alleine durchziehen wollte. »Meine Mutter.«
Er wich zurück. »Tja, sie hatte recht, als sie dich impulsiv genannt hat.«
Nein, dachte sie. Die andere Mutter. Die, die gar nicht weiß, wie impulsiv ich sein kann.
5
Sharon kämpfte mit ihrer Fassung. Jetzt bloß nicht die Beherrschung verlieren. Er musste wirklich nicht wissen, was in ihrem Kopf ablief. Wenn sie es schaffte, die bohrenden Gedanken auszublenden, dann würde es ihr bestimmt gelingen, sich nicht zu verraten und sich ihre Schwäche nicht anmerken zu lassen.
Denn das hatte man ihr schließlich beigebracht: niemals Schwäche zu zeigen – und in diesem Fall konnte sie sich ganz gewiss keine emotionale Reaktion leisten. Sie war Wissenschaftlerin. Sie hatte keine Emotionen.
Ein einziges Wort brauste ihr durch den Kopf, aufwühlend wie der Wind in den Wellen, und mit ihm kam das Gefühl. Dieses lange verdrängte, längst tot geglaubte Gefühl.
Rose.
Nein, nicht Rose, wies sie sich selbst zurecht, sie heißt jetzt Devyn Sterling. Das letzte Bild, das sie von ihr gesehen hatte, war noch relativ aktuell gewesen. Von daher wusste sie genau, wer diese junge Frau war. Ihre Tochter.
Wie in Himmelherrgottsnamen war es Devyn geglückt, sie aufzuspüren?
»Und?« Liam Baird, der im Fond der Limousine neben ihr saß, kniff forschend seine mausbraunen Augen zusammen. »Haben Sie sie gesehen?«
»Ja«, antwortete sie und strich sich eine ungebändigte silbrig weiß gelockte Strähne aus der Stirn. Sie stand zu ihren aparten weißen Haaren und färbte nicht.
»Und?«, wiederholte der Ire ungeduldig. Er mochte an die fünfzig sein, sah aber jünger aus.
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Ich habe diese Frau noch nie im Leben gesehen.« Zumindest nicht mehr, seit sie ein paar Papiere unterschrieben und sie als Baby zur Adoption freigegeben hatte.
Liam ließ sich schwer seufzend in den Ledersitz zurücksinken und fuhr sich mit einer Hand durch sein kräftig gewelltes, sandfarbenes Haar.
»Und warum treibt sich diese Frau dann überall in Belfast herum und fragt an jeder Ecke nach Ihnen? Haben Sie dafür eine Erklärung?«
»Nein, keine Ahnung.« Aber sie sollte sich wirklich schleunigst eine plausible Erklärung ausdenken. Sie hielt sich strikt an die Geschichte, die sie sich zurechtgelegt hatte, seit Baird ihr mit der Sache zusetzte. »Kann natürlich sein, dass sie eine ehemalige Studentin ist, die über die Universität erfahren hat, dass ich hier Urlaub mache. Möglich, dass sie sich in den Kopf gesetzt hat, mit mir Kontakt aufzunehmen. Aus dieser Entfernung kommt sie mir jedenfalls nicht bekannt vor.«
»Dann sollten wir uns vielleicht mal mit ihr unterhalten.«
Oh Gott, nein. Sie schnellte zu ihm herum, durchbohrte ihn mit einem Blick, der erfahrungsgemäß jeden einschüchterte. Sie wusste um die unnachsichtige Strenge ihrer grauen Augen und hatte diesen Blick mit der Zeit perfektioniert. »Wollen Sie mich für dumm verkaufen oder was?«, fragte sie. »Sagten Sie nicht, dass die Kleine Amerikanerin ist? Aber egal, wer sie ist, diese Art von Publicity kann nicht in Ihrem Interesse sein. Schaffen Sie sie von hier weg, sehen Sie zu, dass sie mir nicht mehr über den Weg läuft, statt sie, wie heute, direkt auf meine Fährte zu setzen.«
»Hat aber funktioniert«, meinte er achselzuckend. »Eine Andeutung hinsichtlich Ihrer Aktivitäten, geschickt platziert von einem meiner Leute, und – zack – schon taucht sie hier auf. Sie dürfte ziemlich leicht zu manipulieren sein.«
War sie das? Was für ein Typ von Frau war Rose eigentlich? Sharon
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