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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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ein, die ich überhaupt nicht verstand.
    Abadschadsche hatte schon vor einer Woche ihr Examen abgelegt. Eigentlich hätte sie daraufhin sofort heimkehren müssen, und die anderen Stipendiaten hatten das auch getan.
    Um noch etwas bleiben zu können, hatte sie eine Verlängerung ihres Stipendiums beantragt, mit der Begründung, sie müsse ein Forschungsprojekt zu Ende bringen. Der Antrag war jedoch abgelehnt worden, und am Vortag hatte sie aus ihrem Land ein Fax erhalten, in dem sie ultimativ zur Rückkehr aufgefordert wurde. Andernfalls würde sie ihre Beamtenstelle beim Landwirtschaftsministerium verlieren.
    Ihr blieb nichts anderes übrig, sagte sie. Abdou könne sie sowieso nicht helfen, selbst wenn sie blieb. Wie auch, ohne Geld und ohne Arbeit.
    Und ohne Unterkunft, denn im Studentenwohnheim hatte man ihr gesagt, sie müsse ihr Zimmer so schnell wie möglich räumen.
    Sie wollte nach Nubien zurück und versuchen, eine Zeit lang unbezahlten Urlaub zu bekommen. Sie wollte alles tun, um nach Italien zurückkehren zu können.
    Inzwischen hatte sie schon mal so viel Geld wie möglich zusammengekratzt, um Abdous Verteidigung, sprich mich, zu bezahlen. Es waren fast drei Millionen Lire. Ich solle mein Bestes tun, um ihm zu helfen.
    Nein, Abdou wusste noch nichts davon. Sie würde es ihm am nächsten Tag, während der Besuchszeit sagen.
    In jedem Fall, wiederholte sie – zu schnell und ohne mich dabei anzusehen – in jedem Fall würde sie alles tun, um bald nach Italien zurückzukehren.
    Wir wussten beide, dass das nicht stimmte.
    Verflucht, dachte ich. Verflucht, verflucht, verflucht.
    Ich hätte Lust gehabt, sie zu beschimpfen. Was glaubte diese Frau eigentlich? Wälzte einfach die ganze Verantwortung auf mich ab!
    Ich wollte diese Verantwortung nicht.
    Ich hatte das Bedürfnis, sie zu beschimpfen, weil ich mich in ihrer unerwarteten Schäbigkeit, in ihrer Feigheit wieder erkannte. Und zwar mit unerträglicher Deutlichkeit.
    Ich musste daran denken, wie Sara mir eines Tages ihren Kinderwunsch gestanden hatte. Das war an einem Oktobernachmittag gewesen, und ich hatte gesagt, ich fände nicht, dass dafür schon der richtige Moment sei. Sie hatte mich angesehen und wortlos genickt. Danach war sie nie wieder auf das Thema zurückgekommen.
    Ich beschimpfte Abadschadsche nicht. Ich hörte mir ihre Ausreden an, ohne etwas zu sagen.
    Als sie fertig war, zog sie sich rückwärtsgehend zurück, als hätte sie Angst, mir den Rücken zuzukehren.
    Ich blieb wie angewurzelt im Vorraum stehen, neben mir die Schachtel mit Abdous Sachen, in der Hand ein Bündel Geldscheine. Irgendwann griff ich nach dem Telefon auf dem Schreibtisch meiner Sekretärin und wählte, ohne nachzudenken, Saras Nummer, die einmal auch meine Nummer gewesen war.
    Es läutete fünfmal, dann wurde abgenommen.
    Die Stimme klang nasal und eher jung.
    »Ja?« Der Ton war der eines Mannes, der sich in den eigenen vier Wänden befindet. Vielleicht war er gerade von der Arbeit zurückgekommen; als das Telefon klingelte, war er vielleicht dabei, sich den Krawattenknoten zu lösen, und während er sich meldete, zog er das Jackett aus und warf es aufs Sofa.
    Unerklärlicherweise legte ich nicht auf.
    »Ist Stefania da?«.
    »Nein, Sie müssen sich verwählt haben, hier gibt es keine Stefania.«
    »Oh, Entschuldigung Würden Sie mir bitte sagen, welche Nummer ich gewählt habe?«.
    Er sagte sie mir, und ich schrieb sie sogar noch auf. Um sicherzugehen, dass ich richtig gehört hatte.
    Später starrte ich noch lange auf diesen Fetzen Papier, während meine Gedanken endlos um die näselnde Stimme ohne Gesicht kreisten, die sich an meinem Telefon gemeldet hatte.

11
    D er Film heute Abend war wunderschön. Wie hießen gleich noch die Schauspieler?«
    »Harry war Billy Christal. Sally, Meg Ryan.«
    »Ja, und das mit dem Traum von der Olympiade – wie ging das noch mal?«
    »Harry sagt: Ich hatte wieder meinen Traum, wo ich bumse, und die olympischen Kampfrichter schauen zu; ich hab mich durch die Vorrunden gevögelt und jetzt geht’s ins Finale; ich bekomme eine 9,8 vom kanadischen und eine glatte 10 vom amerikanischen Kampfrichter; nur meine Mutter, als ostdeutsche Kampfrichterin verkleidet, gibt mir eine 5,6.«
    Sie brach in schallendes Gelächter aus. Wie schön sie lacht, dachte ich.
    Das Lachen ist sehr wichtig, weil man damit nicht täuschen kann. Um herauszufinden, ob jemand wirklich so ist, wie er sich gibt, oder bloß etwas vormacht, braucht man nur sein Lachen

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