Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Freund erzählt, dass er eine Ex-Prostituierte zu ehelichen gedenkt. Das frühere Gewerbe seiner Verlobten stellt angeblich kein Problem für ihn dar. Auch ihre Verwandten – alles Dealer, Diebe, Zuhälter – sind kein Problem. Alles scheint bestens, der junge Mann hat nur eine große Sorge.
»Welche?«, fragt sein Freund.
»Wie bringe ich den Eltern meiner Braut bei, dass mein Vater Staatsanwalt ist?«
Patrono war der Einzige, der lachte. Ich war verlegen.
»Ich kenne auch einen netten Witz. Einen mit Tieren«, sagte Alessandra Mantovani. »Die Schlange und der Fuchs gehen im Wald spazieren. Irgendwann beginnt es zu regnen. Um nicht nass zu werden, schlüpfen beide in einen unterirdischen Gang, jeder von einem anderen Ende her. Irgendwann treffen sie sich in der Mitte, und da es stockfinster ist, stoßen sie zusammen.
Der Stollen ist so eng, dass sie nicht ohne weiteres aneinander vorbeikommen. Dazu müsste sich einer von ihnen an die Wand drücken.
Da aber keiner dem andern den Vortritt lassen möchte, beginnen sie zu streiten.
›Tritt beiseite und lass mich durch.‹
›Tritt du doch beiseite!<
›He, was bildest du dir ein?‹
›Und du? Wer bist du überhaupt?‹
›Sag mir zuerst, wer du bist.‹
›Kommt nicht in Frage, ich will zuerst wissen, wer du bist.‹ Und in diesem Ton geht es weiter.
Kurz, die Situation wird kritisch. Keiner von beiden weiß, wie er dort wieder herauskommt, andererseits will aber auch keiner den anderen als Erster angreifen, denn er weiß ja nicht, mit wem er es zu tun hat.
Plötzlich hat der Fuchs eine Idee: ›Hör mal, es ist sinnlos, ewig zu streiten, so kommen wir hier nie raus. Lass uns mit einem Spiel die Lösung finden. Ich bleibe jetzt ganz still stehen, du tastest mich ab und versuchst zu erraten, wer ich bin. Dann umgekehrt. Wer den anderen zuerst erkennt, hat gewonnen und darf als Erster durch. Was meinst du?‹
›Keine schlechte Idee, aber ich fange an‹, sagt die Schlange, richtet sich auf und beginnt, den Fuchs abzutasten.
›Lass mal sehen... spitze, lange Ohren, eine spitze Schnauze, ein weiches Fell, ein buschiger Schwanz... Du musst der Fuchs sein!‹
Der Fuchs muss zähneknirschend zugeben, dass sie Recht hat.
›Aber jetzt bin ich dran, und wenn ich auch richtig rate, steht es unentschieden und wir müssen uns etwas anderes ausdenken. <
Mit diesen Worten beginnt er, die Schlange abzutasten, die sich auf dem Boden des Stollens ausgestreckt hat. ›Ein kleiner Kopf... keine Ohren, lang und schlüpfrig und... du hast keine Eier?! Sag bloß, du bist ein Anwalt!‹«
Ich kniff die Augen zusammen und lachte still in mich hinein. Auch Patrono versuchte zu lachen, aber es gelang ihm nicht. Er brachte nur ein verkrampftes Grinsen zustande, versuchte irgendetwas zu sagen, fand aber nichts Passendes. Er konnte einfach nicht verlieren.
Alessandra Mantovani zog die Robe aus und sagte, sie gehe in ihr Büro. Wir sehen uns nach der Pause im Gerichtssaal wieder, sagte sie und verschwand.
Es gibt eben doch noch echte Männer, dachte ich.
10
E in paar Tage später bekam ich einen Anruf von Abadschadsche, die mich treffen wollte. So bald wie möglich.
Ich sagte ihr, sie könne noch am selben Tag kommen, um acht Uhr, nach Büroschluss, da könnten wir uns in Ruhe unterhalten.
Sie kam mit fast einer halben Stunde Verspätung, und das wunderte mich – es entsprach nicht dem Bild, das ich mir von ihr gemacht hatte.
Als es an der Tür klingelte, war ich gerade dabei zu gehen.
Ich durchquerte das verlassene Büro, öffnete und erkannte sie im Dunkeln auf dem Treppenabsatz.
Abadschadsche trat ein und zog eine große Kiste hinter sich her; sie enthielt Abdous Bücher und noch ein paar Kleinigkeiten, darunter einen Umschlag mit ein paar Dutzend Fotos.
Ich sagte ihr, wir könnten in mein Zimmer gehen und uns dort unterhalten, aber sie schüttelte den Kopf. Sie hatte es eilig. Sie blieb einen Meter von der Tür entfernt stehen, öffnete ihre Handtasche und zog ein Bündel Banknoten heraus, ähnlich dem, das sie mir beim ersten Mal gegeben hatte.
Ohne mir in die Augen zu sehen, drückte sie mir das Geld in die Hand und begann sehr schnell zu sprechen. Diesmal war ein Akzent zu hören. Stark, wie ein Geruch.
Sie musste abreisen. Sie musste nach Assuan zurück. Sie hatte keine andere Wahl, sie war gezwungen, nach Ägypten zurückzukehren – sagte sie.
Ich fragte sie, weshalb und wann, und ihre Erklärungen wurden konfus, bisweilen streute sie sogar Brocken
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