Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
musste.
Während ich aufmachen ging, kam mir zu Bewusstsein, dass zum ersten Mal, seit ich hier wohnte, jemand an meiner Wohnungstür klingelte. Mit einer Anwandlung von Wehmut öffnete ich.
Endlich traf sie mich zu Hause an. Es sei schon das vierte Mal, dass sie bei mir klingelte, aber ich sei nie da gewesen. Ich wohnte doch allein, nicht wahr? Sie sei die neue Mieterin aus dem fünften Stock. Den anderen Mitbewohnern habe sie sich schon allen vorgestellt, nur ich fehlte noch. Sie hieß Margherita. Margherita, den Nachnamen verstand ich nicht.
Sie streckte mir über die unsichtbare Grenze der Tür hinweg die Hand entgegen; es war eine schöne, männliche Hand, groß und stark.
Es gibt Frauen – und vor allem Männer – deren kräftigem Händedruck du gleich anmerkst, dass er nur Show ist. Sie wollen damit zeigen, dass sie entschlossene, freimütige Menschen sind, aber ihre Kraft sitzt nur in den Muskeln. Ich meine, sie kommt nicht von innen. Manche zerquetschen dir fast die Finger, aber es ist wie eine Bodybuilding-Übung.
Bei anderen – wenigen – spürst du, dass hinter dem Händedruck und den Muskeln noch mehr steckt. Ich hielt ihre Hand vielleicht ein paar Sekunden länger als nötig, aber sie fuhr fort zu lächeln.
Dann fragte ich sie unbeholfen, ob sie nicht eintreten wolle. Nein, danke, sie habe nur kurz vorbeigeschaut, um sich vorzustellen. Sie sei den ganzen Tag unterwegs gewesen und gerade erst nach Hause zurückgekommen. Und nach dem Umzug gebe es noch viel zu tun. Wenn die Wohnung einmal fertig eingerichtet war, würde sie mich gern auf eine Tasse Tee einladen.
Sie verströmte einen guten Geruch. Eine Mischung aus frischer, trockener, sauberer Luft, Herrenparfüm und Leder.
»Seien Sie nicht traurig«, sagte sie, während sie zur Treppe ging.
Genau so.
Als sie bereits verschwunden war, wurde mir bewusst, dass ich sie gar nicht richtig angeschaut hatte. Ich ging in meine Wohnung zurück, schloss die Augen und versuchte, mir ihr Gesicht im Geiste vorzustellen, aber es gelang mir nicht. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich sie auf der Straße wieder erkennen würde.
In der Küche waren inzwischen die Hühnerfilets, die ich in die Mikrowelle gelegt hatte, aufgetaut. Ich hatte aber keine Lust mehr, sie einfach nur zu braten, und so öffnete ich ein Kochbuch, das unbenützt auf dem Küchenregal herumstand.
Würzige Hühnerbuletten. Klang verlockend. Ich las das Rezept und stellte zufrieden fest, dass ich alle Zutaten da hatte.
Bevor ich mit dem Kochen anfing, entkorkte ich noch eine Flasche Salice Salentino, nahm einen Schluck und suchte dann noch eine CD heraus, die ich während des Kochens hören wollte.
White Ladder.
Ich ließ den hämmernden Rhythmus von Please Forgive Me ertönen, und gleich darauf setzte die Stimme von David Gray ein. Ich blieb neben den Lautsprechern stehen und lauschte, bis der Teil des Liedes kam, der mir am besten gefiel.
I won’t ever have to lie
I won’t ever have to say goodbye
Every time I look at you
Every time I look at you.
Danach ging ich in die Küche zurück und machte mich an die Arbeit.
Als Erstes kochte ich das Hühnerfleisch in Wasser ab und pürierte es dann zusammen mit hundert Gramm gekochtem Schinken, den ich noch im Kühlschrank hatte. Dann gab ich das Ganze in eine Schüssel, tat etwas Parmesan, Muskatnuss, Salz und schwarzen Pfeffer dazu und vermengte alles, zuerst mit einem Holzkochlöffel, dann mit den Händen, wobei ich noch etwas Paniermehl hinzufügte. Aus der Masse formte ich hühnereigroße Bällchen, und diese kamen in einen tiefen Teller, in dem ich ein weiteres Ei mit etwas Wein verschlagen hatte. Dann wälzte ich die Buletten in Paniermehl, dem ich noch etwas Muskatnuss beigegeben hatte, und briet sie bei mittlerer Hitze in reichlich Olivenöl.
Die fertigen Bällchen – die köstlich dufteten – ließ ich auf Küchenkrepp abtropfen, während ich rasch noch einen frischen Salat mit Balsamico-Essig zubereitete. Zum Schluss deckte ich den Tisch, richtig mit Tischtuch, echten Tellern, echtem Besteck, und legte vor dem Essen noch eine neue CD auf.
Simon and Garfunkel. The Concert in Central Park.
Ich drückte so lange auf »Skip« , bis die Nummer sechzehn auf dem Display erschien, The Boxer, und hörte mir das Lied stehend an. Bis zur letzten Strophe, meiner Lieblingsstrophe
In the clearing stands a boxer and a fighter by his trade
And he carries the remainders
Of every glove that laid him down
Or cut him, till he
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