Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
zu beobachten – und anzuhören. Die Menschen, die es wirklich wert sind, sind diejenigen, die lachen können.
Sie rüttelte mich am Arm und riss mich aus meinen Gedanken.
»Nenn mir deine drei Lieblingsfilme.«
» Die Stunde der Sieger , Tag der Entscheidung, Picknick am Valentinstag.«
»Du bist der Erste, der mir so... so schnell, antwortet. Ohne lange nachzudenken.«
»Na ja, das mit den Lieblingsfilmen frage sonst immer ich, deshalb bin ich vorbereitet. Was sind denn deine?«
»Der erste ist Blade Runner . Mit Sicherheit.«
»›Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäusertor. All diese Momente werden verloren sein, in der Zeit, so wie Tränen im Regen. Zeit – zu – sterben...‹«
»Bravo. Genau so sagt er es, abgehackt: Zeit – zu – sterben. Und dann lässt er die Taube fliegen.«
Ich nickte, und sie fuhr fort zu sprechen.
»Jetzt sag ich dir die andern Filme. American Graffiti und Manhattan Love Story . Vielleicht nenne ich morgen zwei andere – Blade Runner bleibt immer – aber heute sind es die. Ganz oft habe ich zum Beispiel Metropolis gesagt.«
»Warum sind es heute die beiden?«
»Weiß ich nicht. Wollen wir noch was spielen?«
»Okay. Spielen wir das: Ein Außerirdischer kommt auf unseren Planeten und du musst ihm eine Probe vom Besten geben, das wir auf der Erde haben, damit er bleibt. Du musst ihm einen Gegenstand geben, ein Buch, ein Lied, einen Satz und eigentlich auch einen Film, aber das hatten wir ja schon.«
»Das gefällt mir. Einen Satz weiß ich schon. Er ist von Malraux: ›Die Heimat eines Menschen, der wählen kann, ist dort, wo sich die Wolken am weitesten ausdehnen.‹«
Wir schwiegen einen Augenblick. Als sie weitersprechen wollte, unterbrach ich sie.
»Du musst mir einen Gefallen tun, versprichst du mir das?«
»Ja. Welchen?«
»Wenn du dabei bist, dich rettungslos in mich zu verlieben, sag’s mir lieber gleich. Verlass dich nicht auf meine Intuition. Bitte. In Ordnung?«
»In Ordnung. Gilt das auch für mich?«
»Ja. Und jetzt sag mir die andern Dinge.«
»Das Buch ist Der Fänger im Roggen. Hinsichtlich des Songs bin ich mir sehr im Zweifel. Because the night von Patty Smith. Oder Suzanne von Leonhard Cohen. Oder Ain’t no cure for love , auch von Cohen. Ich weiß nicht, einen von diesen. Vielleicht.«
»Und der Gegenstand?«
»Das Fahrrad. So, und jetzt sag mir deine.«
»Der Satz ist eigentlich ein kurzer Wortwechsel. Aus Kerouacs Unterwegs. Er lautet so: ›Komm, Sal, ziehen wir los und gehen wir immer weiter, bis wir da sind.‹ Fragt der andere: ›Wohin denn, Mann?‹ ›Weiß ich auch nicht, aber wir müssen los.›«
»Das Buch?«
»Das kennst du bestimmt nicht. L’étudiant étranger von Philippe Labro...«
»Doch, ich glaub, das hab ich mal gelesen. Ist das nicht das von dem Franzosen, der in den fünfziger Jahren an einem amerikanischen College studiert?«
»Genau! Dieses Buch kennt sonst niemand, du bist die Erste. Seltsam...«
In der Dunkelheit des Wagens blitzten ihre Augen einen Moment lang auf wie Messerklingen.
Wir hatten an der Steilküste von Polignano, quasi am Rande des Abgrunds, geparkt. Draußen war es Februar und sehr kalt.
Im Wagen nicht. Im Wageninnern schien man in dieser Nacht gegen alles gefeit zu sein.
»Ich bin froh, dass ich heute Abend mit dir ausgegangen bin. Beinahe hätte ich dich in letzter Minute noch angerufen und abgesagt. Aber dann hab ich mir überlegt, dass das wirklich fies gewesen wäre und dass du wahrscheinlich sowieso schon aus dem Haus warst. Okay, dachte ich, dann gehst du eben ins Kino, lässt dich danach sofort wieder heimbegleiten und gehst mal früh ins Bett.«
»Warum wolltest du absagen?«
»Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Ich wollte dir nur sagen, dass ich froh bin, ausgegangen zu sein. Und ich bin auch froh, dass ich mich nicht gleich nach dem Kino habe heimbringen lassen. Aber komm, jetzt spielen wir weiter. Das gefällt mir. Sag mir dein Lied und den Gegenstand.«
»Der Gegenstand ist ein Füllfederhalter. Das Lied ist von Francesco De Gregori und heißt Pezzi di vetro .«
»Darf ich zum Buch noch etwas sagen?«
»Klar.«
»Ich bin mir nicht mehr sicher, dass es der Fänger im Roggen ist.«
»Möchtest du lieber ein anderes nehmen?«
»Vielleicht ja. Der kleine Prinz . Irgendwie kommt mir das
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