Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
hatte schon am Vorabend mit dem Trinken angefangen, da hatte ich sogar noch Alkohol und Beruhigungsmittel gemischt, um überhaupt schlafen zu können. Und am Morgen vor der Trauung hab ich weitergetrunken. Ein paar Bier, um mich einzustimmen. Dann noch ein Glas Whisky, vielleicht auch zwei. Aber ich habe mir sehr gut die Zähne geputzt. Beim Einzug in die Kirche bin ich fast gestürzt, so betrunken war ich. Alle meinten, das sei die Aufregung. Während der ganzen Messe habe ich nur an den Empfang danach gedacht. Um weitertrinken zu können.«
Sie nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette, die bis auf den Filter niedergebrannt war, und drückte sie mit einer heftigen Geste in dem Mörser aus. Ich war versucht, ihre Hand zu berühren, oder ihre Schulter oder ihr Gesicht. Um sie spüren zu lassen, dass ich da war. Aber ich schaffte es nicht, und sie sprach bereits weiter.
»Ich frage mich heute noch, wie sie es damals fertig gebracht haben, mir nichts anzumerken, alle miteinander – bis zur Hochzeit und noch mehrere Monate danach.« Sie schwieg einen Moment und dachte nach. »Die Situation eskalierte nach meinem Anwaltsexamen. Vor der Hochzeit hatte ich noch rasch das Schriftliche hinter mich gebracht und ein paar Monate später war das Mündliche dran. Ich schnitt als Zweitbeste ab. Nicht schlecht für eine Trinkerin, was? Ich habe es auf meine Art gefeiert. Als ich nach Hause kam, war mir schlecht. Mein Mann traf mich im Bett an. Ich hatte mehrmals gekotzt und roch entsprechend. Nicht nur nach Alkohol, aber mit Sicherheit auch nach Alkohol. Ab diesem Moment wurde es wirklich schlimm. Pierluigi begann zu ahnen. Er begriff nicht alles auf einmal, aber vier, fünf Wochen später wusste er, dass er eine Alkoholikerin zur Frau hatte. Er verhielt sich nicht schlecht, versuchte mir auf seine Art zu helfen. Als Erstes verbannte er allen Alkohol aus unserer Wohnung und brachte mich zu einem Spezialisten, nicht hier in Bari, sondern in einer anderen Stadt. Um einen Skandal zu vermeiden, du verstehst. Ich versprach, dass ich mit dem Trinken aufhören würde, und trank von da an heimlich. Einen Alkoholiker zu kontrollieren ist unmöglich. Alkoholiker sind wahnsinnig gerissen und lügen, wie Drogensüchtige oder noch schlimmer, weil man an Alkohol leichter rankommt als an Stoff. Einmal sah mich ein Bekannter, wie ich um zehn Uhr morgens in einer Bar im Stadtzentrum ein Bier in mich hineinschüttete, und erzählte es Pierluigi. Ich schwor, dass ich aufhören würde, und kaum eine halbe Stunde später trank ich schon wieder heimlich. Pierluigi sprach mit meinen Eltern, sie wollten ihm zuerst nicht glauben. Dann mussten sie ihm glauben. Wir gingen gemeinsam zu einem neuen Spezialisten in noch einer anderen Stadt. Ergebnis: genau wie vorher. Um es kurz zu machen: Die Sache ist, nachdem sie aufgeflogen war, noch ein Jahr so weitergegangen. Dann verließ mein Gatte das Haus. Wer würde es ihm verübeln? Ich bin mit großen, blauen Flecken und zerkratztem Gesicht herumgelaufen, weil ich nachts, wenn ich zur Toilette ging, sämtliche Türrahmen rammte. Das lag an den Turbomixturen aus Tequila oder Wodka mit Schlaftabletten, die ich intus hatte. Oft bin ich auch der Länge nach hingefallen. Die wenigen Male, die wir Sex miteinander hatten, dürften für ihn nicht sehr erhebend gewesen sein. Für mich mit Sicherheit nicht. Ich hatte nur Lust zu weinen und zu trinken. Zu guter Letzt ist er gegangen, und er hat gut daran getan.
Meine Erinnerungen an die Zeit nach seinem Abgang sind wirklich sehr verschwommen. Erst später werden sie wieder klarer. Ich war in einer Spezialklinik in Piemont, in der Süchtige aller Art behandelt wurden: Drogensüchtige, Tablettensüchtige, Spielsüchtige. Wir, die Alkoholiker, waren in der Mehrzahl.
Das war die härteste Zeit meines Lebens. Das Personal dort kannte kein Erbarmen, aber sie haben mir geholfen, aus der Scheiße rauszukommen, in die ich mich selbst hineinmanövriert hatte. Inzwischen sind es fast fünf Jahre, dass ich trocken bin. In der ersten Zeit habe ich noch die Tage gezählt, später dann nicht mehr. Und jetzt bin ich hier. In diesen fünf Jahren ist noch viel passiert, aber das sind andere Geschichten.«
Ich sah sie an und wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Wahrscheinlich wäre in dieser Situation alles falsch gewesen. Schließlich war sie es, die das Schweigen unterbrach.
»Vielleicht denkst du, ich erzähle diese Geschichten jedem, den ich treffe, einfach so. Eigentlich
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