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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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erkenntlich.
    Die Autopsie ergab, dass der Tod des Kindes durch Ersticken herbeigeführt worden war.
    Bei den Ermittlungen im unmittelbaren Anschluss an die Auffindung der Leiche konnten zahlreiche Beweise zu Lasten des senegalesischen Staatsbürgers Thiam, Abdou zusammengetragen werden, der heute hier auf der Anklagebank sitzt.
    Lassen Sie mich, grob zusammengefasst, die für unsere Ermittlungen maßgeblichen Elemente aufzählen:
    Mehrere Zeugen haben ausgesagt, den Beschuldigten im Strandbad Duna Beach des Öfteren mit dem kleinen Francesco sprechen gesehen zu haben.
    Der Betreiber einer Bar in unmittelbarer Nähe des Ferienhauses der Großeltern des Jungen – und somit des Ortes, an dem das Kind zuletzt lebend gesehen wurde – hat ausgesagt, den Angeklagten wenige Minuten vor Verschwinden des Kindes vorbeigehen gesehen zu haben. Thiam ging in Richtung des Hauses der Großeltern des Jungen.
    Ein Landsmann Thiams hat ausgesagt, den Beschuldigten am Tag nach dem Verschwinden des Kindes nicht am Strand – insbesondere dem zuvor genannten Duna Beach – gesehen zu haben. Ein weiterer Landsmann berichtete, Thiam habe in diesen Tagen sein Auto waschen lassen. Offensichtlich, um Spuren zu beseitigen...
    Bei der Durchsuchung der Wohnung Thiams wurde von den Carabinieri ein Polaroidbild des Jungen sichergestellt – ein Fund, der für sich spricht. Desgleichen wurden während der Hausdurchsuchung zahlreiche Kinderbücher entdeckt. Die an sich schon verdächtige Tatsache, dass ein allein lebender, erwachsener Mann zu Hause Kinderbücher hortet, erscheint in Zusammenhang mit dem Verbrechen, das uns heute beschäftigt, bedeutsam und beunruhigend.
    Viel sagend ist auch der Inhalt des Verhörs, dem der Angeklagte während der Ermittlungen unterzogen wurde. Abgesehen davon, dass ich bereits jetzt eine neuerliche Vernehmung des Beschuldigten vor diesem Gericht beantrage, möchte ich im Moment lediglich darauf hinweisen, dass Thiam auf die Frage, ob er den kleinen Rubino kenne, mit Nein geantwortet hat. Als ihm daraufhin das in seiner Wohnung gefundene Bild des Jungen vorgelegt wurde, versuchte er sich mit lächerlichen Rechtfertigungen herauszureden.«
    Cervellati sprach – oder besser las – mit der für ihn typischen, nasal und monoton klingenden Stimme. Da ich mir von seinem Vortrag keine spektakulären Überraschungen erwartete, begann ich, heimlich die Richter zu mustern, einen nach dem andern.
    Der Vorsitzende, Nicola Zavoianni, war ein bekannter Vertreter des Jet-Sets von Bari. Ein gut aussehender Mann, dem man seine siebzig nicht ansah, Mitglied des Yachtclubs, leidenschaftlicher Pokerspieler und angeblich ein großer Frauenheld. Arbeitswütig war er nicht gerade, aber das Amt des Vorsitzenden Richters übte er seit etlichen Jahren ganz leidlich aus, und man konnte sagen, dass er alles in allem etwas von seinem Handwerk verstand. Besonders sympathisch war er mir nie gewesen, und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit.
    Der Beisitzer war ein kurzsichtiger, grauer Herr mit glänzender Haut und Glatze. Er kam vom Zivilrecht, bei einem Strafprozess hatte ich ihn noch nie erlebt. Er hielt seine Robe vorn mit den Händen zu, als wolle er sich gegen irgendetwas schützen. Seine Augen konnte ich wegen der dicken Brillengläser nicht recht erkennen.
    Die Schöffenjury setzte sich aus vier Frauen und zwei Männern zusammen. Sie hatten alle das etwas hilflose Aussehen von Neulingen – Laienrichter bei ihrem ersten Prozess. Die jeweils äußersten Plätze rechts und links belegten zwei Frauen zwischen fünfzig und sechzig. Eine von ihnen glich aufs Haar einer Tante von mir, einer Kusine meiner Mutter. Ich wartete jeden Moment darauf, dass sie mich zu sich rief, um mir Mandelplätzchen aus irgendeinem Kloster anzubieten.
    Die beiden Männer saßen neben dem beisitzenden Richter. Einer hatte streichholzkurzes, weißes Haar, trug einen altmodischen Einreiher und eine schwarze Krawatte; er war um die sechzig, hatte die Augen bis auf zwei schmale Schlitze geschlossen und sah aus wie ein pensionierter Berufssoldat. Das verhieß nichts Gutes. Der andere war ein junger Mann von höchstens dreißig. Er wirkte intelligent und blickte sich neugierig um.
    Der Vorsitzende Richter hatte die beiden anderen Frauen neben sich. Eine von ihnen sah aus wie eine strenge Schulrektorin, die andere – zufälligerweise die unmittelbar neben ihm – war knackig braun, grell geschminkt mit knallroten Lippen und kam frisch vom Frisör.
    Ich unterbrach meine

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