Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Doisneau mit seinen schwarzweißen Küssen im Paris der fünfziger Jahre. Es gab auch ein Buch über Edward Hopper. Beim Aufschlagen entdeckte ich eine Widmung, blätterte aber sofort um.
Ich las die ersten Zeilen der Einleitung.
»Bilder von meist verlassen wirkenden Städten und Landschaften, in deren realistischer Darstellung ein Gefühl der Wehmut mitschwingt, das von der Landschaft, den Personen und Dingen ausgeht. Hoppers vordergründig objektive Bilder drücken Stille, Einsamkeit, metaphysisches Staunen aus.«
Ich stellte Hopper zurück, zog stattdessen John Fantes Ask the Dust heraus und ging damit auf die Terrasse. Die Luft war frisch und trocken. Ich wanderte ein wenig zwischen den Topfpflanzen umher, schaute über die Brüstung auf die Straße hinunter, blieb stehen, um seltsame kleine Blumen zu berühren, die aussahen, als wären sie aus Wachs. Dann lehnte ich mich unter einer Art schmiedeeisernen Laterne an die Wand und schlug die letzte Seite des Buches auf, weil ich das Ende noch einmal lesen wollte.
»Weit draußen über der Mojave stieg flimmernd die Hitze auf. Ich ging den Fußweg hinauf zum Ford. Auf dem Vordersitz lag mein Buch. Ich fand einen Bleistift, schlug das Buch auf und schrieb auf die erste Seite:
›Für Camilla, in Liebe, Arturo.‹
Ich trug das Buch hundert Yards südostwärts in die Wüste hinein. Mit aller Kraft schleuderte ich es in die Richtung, in die sie gegangen war. Dann stieg ich in den Wagen, ließ den Motor an und fuhr zurück nach Los Angeles.«
»Zu Tisch, das Essen ist fertig.«
Ich zuckte ein wenig zusammen und ging in die Wohnung zurück. Der Tisch war gedeckt.
Margherita hatte den Primitivo in eine Karaffe umgefüllt, in einer anderen war Wasser. Daneben stand eine Schüssel mit Chili con Carne und eine Terrine mit gekochtem Reis. Auf einem Teller lagen vier Maiskolben, mit Butterflöckchen in der Mitte.
Wir begannen mit den Maiskolben und der Butter. Ich griff nach der Weinkaraffe und wollte Margherita einschenken.
Sie sagte nein, danke, sie trinke keinen Wein.
»Vor ein paar Jahren hatte ich Alkoholprobleme. Zuerst nur leichte, später ziemlich schwere. Jetzt trinke ich gar nicht mehr.«
»Tut mir Leid, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich keinen Wein mitgebracht.«
»Aber ich habe dir doch extra gesagt, du solltest welchen mitbringen. Für dich.«
»Wenn es dich stört, können wir auch Wasser trinken.«
»Es stört mich nicht«, meinte sie lächelnd, aber in einem Ton, der mir zu verstehen gab: Thema beendet.
Gut, Thema beendet. Ich füllte mein Glas und machte mich über meinen Maiskolben her.
Beim Essen sprachen wir wenig. Das Chili war wirklich sehr scharf, und der Wein passte ausgezeichnet dazu. Zum Nachtisch gab es einen ebenfalls mexikanischen Kuchen aus Datteln und Honig.
Es war keine Diätkost, und hinterher hatte ich Lust auf einen Schnaps. Natürlich sagte ich das nicht, aber Margherita ging in die Küche und kam mit einer Flasche Brown Tequila zurück, die noch versiegelt war.
»Die habe ich heute Nachmittag für dich gekauft. Zu einem mexikanischen Abendessen gehört unbedingt Tequila. Du nimmst die Flasche später einfach mit. Und den Weißwein auch.«
Ich schenkte mir also etwas Tequila ein und zog meine Zigaretten aus der Tasche, als mir – zu spät – einfiel, dass Rauchen hier vielleicht nicht erwünscht war. Doch Margherita ließ sich auch eine geben und holte eine Art Mörser aus Lavastein für die Asche.
»Ich kaufe keine Zigaretten, sonst rauche ich sie, aber ich schnorre bei jeder Gelegenheit.«
»Die Methode kenne ich«, sagte ich. Viele Jahre lang war das auch meine Methode gewesen. Bis die Freunde anfingen, mir keine Zigaretten mehr zu geben, und ich mich so unbeliebt gemacht hatte, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als sie mir wieder selbst zu kaufen.
Ich nippte an meinem Tequila und schwieg ein paar Sekunden zu lang. Sie las in meinen Gedanken.
»Du möchtest wissen, was es mit meinen Alkoholproblemen auf sich hat.«
Das war eine Feststellung, keine Frage. Zuerst wollte ich abwehren, wie kam sie nur auf diese Idee, ich genoss lediglich meinen Tequila.
Dann gab ich ihr Recht.
Sie zog einmal kräftig an ihrer Zigarette, bevor sie sprach.
»Ich war ungefähr drei Jahre lang Alkoholikerin. Nach der Uni haben meine Eltern mir einen Aufenthalt in den USA geschenkt. Ich war drei Monate in San Francisco – die schönste Zeit meines Lebens. Bei meiner Rückkehr kam mir zum ersten Mal zu Bewusstsein, worin
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