Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Beobachtungen, als ich merkte, dass der Staatsanwalt zu Ende gekommen war und seine Beweisanträge stellte.
    »... aus diesem Grund beantrage ich die Vorladung der in der Liste aufgeführten Zeugen, die Verwertung des zuvor genannten Beweismaterials und die Vernehmung des Angeklagten. Für den Fall, dass sich der Angeklagte auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft, beantrage ich schon jetzt die Verwertung des Vernehmungsprotokolls aus der Ermittlungsphase. Da die beiden senegalesischen Zeugen unauffindbar sind und dem Prozess daher nicht beiwohnen können, beantrage ich ebenfalls schon jetzt die Verwertung ihrer während des Ermittlungsverfahrens gemachten und ordentlich protokollierten Aussagen gemäß Paragraph 512 Nachsatz.«
    Anschließend erteilte der Vorsitzende der von Avvocato Cotugno vertretenen Nebenklägerseite das Wort. Die Familie des Kindes, sagte Cotugno, fordere nicht Rache, sondern Gerechtigkeit. Gerechtigkeit aber walte nur, wenn das Gericht – nach strenger Prüfung des gesamten Sachverhalts und der Verantwortlichkeit des Angeklagten – nicht minder streng bei der Bestimmung des Strafmaßes verfahre, die der Schwere des Verbrechens angemessen sein müsse. Eigene Beweisanträge habe er keine zu stellen, er schließe sich den vom Staatsanwalt gestellten Forderungen an, dessen Sicht der Dinge er im Übrigen voll und ganz teile.
    Dann war ich an der Reihe.
    »Hohes Gericht, Herr Beisitzer, meine Damen und Herren Geschworenen. Der Staatsanwalt hat gesprochen, als verlese er eine Urteilsbegründung. Auch wir werden im Laufe dieser Verhandlung Zeugen befragen. Wir werden genau die Zeugen befragen, die der Staatsanwalt bestellt hat. Und wir werden Ihnen beweisen, dass dieses Urteil, das im Kopf des Mannes, der hier die öffentliche Anklage vertritt, bereits geschrieben steht, in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein Kartenhaus aus Vermutungen. Wir werden beweisen, dass die Untersuchungen von Beginn an darauf angelegt waren, einen und nicht den Schuldigen dieses fürchterlichen Verbrechens zu finden. Und wir werden noch etwas beweisen. Wir werden beweisen, dass das – verständliche – Bedürfnis nach Gerechtigkeit, das die Familie des armen Francesco Rubino und die Öffentlichkeit hatten, zu einer objektiven Manipulation des Beweismaterials geführt hat. Achtung: Ich behaupte nicht, dass die Beweise bewusst oder absichtlich manipuliert wurden, um meinen Mandanten, Herrn Abdou Thiam, zu schädigen. Das würde ich niemals unterstellen, weder den Carabinieri noch der Staatsanwaltschaft. Wir behaupten jedoch, dass die Not, so schnell wie möglich einen Schuldigen zu finden und für Gerechtigkeit zu sorgen, zu Fehleinschätzungen, Kurzsichtigkeit in den Ermittlungen und gravierenden methodischen Fehlern geführt hat.«
    Der Vorsitzende unterbrach mich.
    »Avvocato Guerrieri, wir sind noch nicht bei den Plädoyers angelangt! Bitte stellen Sie Ihre Beweisanträge, wenn Sie welche haben.«
    »Herr Vorsitzender, ich zähle lediglich die Punkte auf, die ich im Laufe der Verhandlung zu beweisen gedenke und zwar gemäß Paragraph 493 der Strafprozessordnung. Insbesondere möchte ich beweisen, dass Mängel bei der Durchführung der Ermittlungen – auch wenn sie mit Sicherheit nicht beabsichtigt waren – die Glaubwürdigkeit und Qualität des zusammengetragenen Beweismaterials beeinträchtigt haben. Im Übrigen war ich fast am Ende mit meinen Ausführungen, ich bitte Sie also, mich fortfahren zu lassen.«
    »Ich lasse Sie fortfahren, Avvocato, aber bleiben Sie im Rahmen.«
    »Danke, Herr Vorsitzender. Die Tatsache also, dass die Ermittler aufgrund einer Reihe von Zufällen beinahe sofort auf einen möglichen Täter gestoßen sind, hat bei ihnen – selbstverständlich unbewusst – eine Art Kettenreaktion ausgelöst und sie dazu verleitet, Verdachte in Vermutungen und Vermutungen in angebliche Beweise zu verwandeln. Es ist unsere Absicht, diesen Mechanismus im Laufe der Verhandlung aufzudecken und sozusagen zurückzuverfolgen, um seine Schwachstellen aufzuzeigen und damit auch die falschen Rückschlüsse und die grundlegende, schwere, wenngleich nicht gewollte Unrechtmäßigkeit, zu denen er geführt hat.
    Beweisanträge habe ich im Moment keine zu stellen. Allerdings sei vorweggenommen, dass ich im Rahmen der Kreuzverhöre einiger Zeugen bestimmte Dokumente hinzuziehen werde. Die Aufnahme dieser Dokumente in die Prozessakten möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt beantragen. Bevor ich schließe, würde ich