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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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auf, trat ein und steckte die Schlüssel wieder weg. Ich knöpfte mein Hemd zu und zog den Krawattenknoten fest. Dann ging ich nicht , wie ich es ein Jahr lang gemacht hatte, die Treppe hoch, sondern drückte auf den Fahrstuhlknopf. Während der Lift mit einem leisen Summen nach unten glitt, wurde mir ganz heiß im Gesicht. Mein Puls raste.
    Als der Fahrstuhl da war, sagte ich mir: Nichts denken und nicht stehen bleiben. Ich öffnete die Außentür, dann die beiden Flügel der Innentür, trat ein, schloss die Außentür, schloss die beiden Flügel der Innentür, betrachtete die Bedienungsknöpfe, legte einen Zeigefinger auf den Knopf mit der Nummer acht, schloss die Augen und drückte.
    Der Aufzug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, und ich dachte, es gilt nicht, dass du die Augen geschlossen hältst. Also riss ich sie auf, während mein Atem kürzer wurde und meine Arme und Beine nachgaben.
    Als der Lift im achten Stock ankam, blieb ich noch eine Weile reglos stehen. Du musst es wenigstens zehn Sekunden so aushalten, sonst gilt es nicht, sagte ich mir – auch auf die Gefahr hin, dass jemand anderes den Aufzug ruft.
    Ich zählte. Eintausendeins. Eintausendzwei. Eintausenddrei. Eintausendvier. Eintausendfünf. Eintausendsechs. Eintausendsieben. Eintausendacht. Eintausendneun. Bei Eintausendneun hielt ich inne, die rechte Hand nach dem Türgriff einer der beiden Innentürflügel ausgestreckt. Es kribbelte mich am ganzen Körper, besonders aber im rechten Arm und in der rechten Hand.
    Ich hatte die Zeit angehalten.
    Eintausendzehn.
    Langsam öffnete ich den einen Türflügel. Dann den andern. Dann die Außentür. Im Aufzug stehend betrachtete ich die großen Marmorplatten, mit denen der Treppenabsatz vor mir gefliest war. Tritt nicht auf die Fugen, dachte ich. Es galt, den rechten Fuß auf eine Fliese und den linken auf eine andere Fliese zu setzen. Ich dachte, das ist genau das, was du unbewusst immer gedacht hast, wenn du aus diesem Aufzug getreten bist – solange du ihn noch genommen hast.
    Dann dachte ich: Zum Teufel damit.
    Und setzte den ersten Fuß haarscharf auf die Linie zwischen zwei Fliesen. Um den zweiten kümmerte ich mich schon gar nicht mehr und schloss stattdessen mit äußerster Konzentration den Aufzug. Zuerst die beiden Flügel der Innentür, dann die Außentür, die ich behutsam begleitete, bis sie mit einem leisen Klicken ins Schloss fiel.
    Danach blieb ich vielleicht zehn Minuten an die Treppenhauswand gelehnt stehen. Dabei hielt ich meine Tasche mit ausgestreckten Armen vor mich. Ab und zu ließ ich sie ein wenig hin und her baumeln. Durch halb geschlossene Augenlider, vermutlich sogar mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, sah ich mich um.
    Als genügend Zeit vergangen war, löste ich mich von der Wand. Mir fiel ein, dass ich vor einem Jahr meinen Nachbarn Strisciuglio getroffen hatte, und ich überlegte mir, ob ich bei ihm läuten und ihm erzählen sollte, wie die Sache ausgegangen war.
    Aber ich tat es nicht. Ich ging zum Aufzug zurück, den inzwischen niemand gerufen hatte, und fuhr hinunter.
    Es war Zeit, nach Hause zu gehen.

10
    W enn ich als Kind gefragt wurde, was ich einmal werden wollte, sagte ich: Sheriff. Mein großes Idol war Gary Cooper in Zwölf Uhr mittags . Wenn mir daraufhin mitgeteilt wurde, in Italien gebe es keine Sheriffs, sondern allenfalls Polizisten, kam es wie aus der Pistole geschossen: dann will ich eben Sheriffpolizist werden. Ich war, wie man sieht, ein flexibles Kind, dem es in erster Linie darum ging, Verbrecher zu jagen – egal wie.
    Mit acht, neun Jahren erlebte ich dann einmal eine Verhaftung auf offener Straße mit. Ich weiß nicht, ob es ein Taschendieb oder ein Handtaschenräuber oder sonst etwas war, und überhaupt sind meine Erinnerungen an die Szene ziemlich verschwommen, aber eine kleine Sequenz davon steht mir noch heute glasklar vor Augen.
    Ich gehe mit meinem Vater auf der Straße. Plötzlich hören wir hinter uns lautes Geschrei, dann rennt ein mageres Bürschchen an uns vorbei – blitzschnell, wie mir damals schien. Mein Vater reißt mich an sich, gerade noch rechtzeitig, um nicht von einem Mann umgerannt zu werden, der den Jungen verfolgt. Der Mann trägt einen schwarzen Pullover und schreit im Laufen. Er schreit etwas im Dialekt. Er schreit, der Junge soll stehen bleiben, sonst bringt er ihn um. Der Junge bleibt nicht stehen, stößt aber etwa zwanzig Meter weiter vorn mit einem Passanten zusammen. Und stürzt. Der Mann mit dem schwarzen

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