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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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langen Korridors auftauchen.
    Er kam auf mich zu, schüttelte mir die Hand und neigte sogar etwas den Kopf, wie zu einer kleinen Verbeugung. Ich erwiderte seinen Gruß automatisch; hinterher war mir das peinlich.
    Er hatte eine Zeitung in der Hand und ließ mir den Vortritt ins Sprechzimmer.
    Wir setzten uns, keiner von beiden in den kaputten Sessel, der immer noch dastand. Abdou reichte mir die Zeitung mit einer Art Lächeln.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Da steht was über dich drin, Avvocato.« Seine Stimme klang anders als sonst.
    Ich nahm die Zeitung. Sie war zwei Tage alt. In einem Artikel – mit Foto von mir – wurde ausführlich über die Verhandlung vom vergangenen Dienstag berichtet. Ich hatte ihn vorher weder gesehen, noch gelesen. Wie auch, ich kaufte ja seit einem Jahr keine Zeitung mehr.
     
    HAUPTZEUGE WACKELT
IM PROZESS UM DEN TOD DES KLEINEN FRANCESCO
     
    Dramatisch verlief die Verhandlung gestern im Prozess gegen den Senegalesen Abdou Thiam, der laut Anklage den kleinen Francesco Rubino entführt und ermordet haben soll. Die wichtigsten Zeugen der Anklage wurden gehört, darunter Antonio Renna, der Betreiber einer Bar in Capitolo, dem Badeort bei Monopoli, wo das Kind vor einem Jahr verschwunden war.
    Der sehr selbstsicher auftretende Renna wiederholte vor Gericht, was er bereits den Fahndern gesagt hatte: Er habe den Angeklagten am Tag des Geschehens an seiner Bar vorübergehen sehen, die sich in unmittelbarer Nähe des Ortes befindet, an dem das Kind zuletzt gesehen wurde.
    Die entscheidende Wende nahm der Prozess während des spektakulären Kreuzverhörs durch den Verteidiger des Senegalesen, Guido Guerrieri. Nach einigen scheinbar unverfänglichen Fragen, die allerdings die ausländerfeindliche Haltung des Zeugen deutlich zutage treten ließen, legte Guerrieri diesem mehrere Fotos von dunkelhäutigen Männern vor und fragte ihn, ob er jemanden darunter wieder erkenne. Als der Zeuge verneinte, zog der Verteidiger sein As aus dem Ärmel: In Wahrheit zeigten gleich zwei der Fotos den Angeklagten Abdou Thiam, also genau die Person, die der Zeuge Renna angeblich so gut kannte und an jenem tragischen Nachmittag an seiner Bar vorübergehen gesehen hatte.
    Die Fotos wurden vom Gericht als Beweismittel aufgenommen, und Staatsanwalt Cervellati kam nicht umhin, die Schlappe einzustecken und den Zeugen erneut zu vernehmen, um seine Aussage im Detail zu klären. Renna erklärte, dass er den Angeklagten seit dem Tag des Geschehens vor einem Jahr nicht mehr gesehen habe, dass er weiterhin zu seiner Aussage stehe und dass er den Angeklagten aufgrund der unscharfen Fotos nicht erkannt habe. Tatsächlich handelt es sich bei den Bildern um Farbkopien von minderer Qualität.
    Mit einer neuerlichen Vernehmung des Zeugen gelang es dem Staatsanwalt den Schaden zu begrenzen, aber der Anwalt konnte zweifellos in dieser für die Verteidigung nicht einfachen Verhandlung mehr als einen Punkt für sich verbuchen.
    Vor dem Barbesitzer wurden der Gerichtsarzt und der Leiter der Fahndung, Maresciallo Lorusso, angehört.
    Auch während der Vernehmung des Carabiniere gab es spannungsgeladene Momente, als der Verteidiger auf Unterlassungen und Fahrlässigkeiten hinwies, zu denen es seines Erachtens während der Ermittlungen und besonders im Verlauf der Hausdurchsuchung gekommen war.
    Heute Morgen geht es mit den Eltern und Großeltern des Kindes weiter, die Vernehmung des Angeklagten ist für kommenden Montag angesetzt. Danach beginnt, sofern keine neuen Beweisanträge vorliegen, die Hauptverhandlung.
     
    Ich las den Artikel zweimal. Spektakuläres Kreuzverhör. Es gelang mir nicht, die kindliche Freude zu unterdrücken, die ich beim Lesen dieser Worte und beim Anblick meines Fotos in der Zeitung empfand. Es war nicht das erste Mal, dass ich in Zusammenhang mit irgendeinem Prozess, auch mit einem Foto, in einem Artikel erwähnt wurde.
    Aber diesmal war es anders. Diesmal war ich der Protagonist des Artikels.
    Wann hatten sie dieses Foto von mir gemacht? Es war nicht ganz neu, vielleicht zwei Jahre alt, aber an die Umstände entsann ich mich nicht. Na ja, schlecht ist es nicht , dachte ich, aber in echt siehst du besser aus.
    Nachdem ich einige Sekunden an derlei Überlegungen verschwendet hatte, kam ich mir vor wie ein Idiot, legte die Zeitung auf den Tisch und wandte mich an Abdou.
    Er sah mich an. An seinem Gesicht war abzulesen, dass er jetzt überzeugt war, wir würden es schaffen. Er hatte den Artikel gelesen und

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