Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
ließ Zavoianni gar nicht erst den Mund aufmachen.
»Herr Vorsitzender, ich bin fertig mit meiner Frage und wollte gerade zur nächsten kommen.«
»Gut, aber haben Sie Acht, Avvocato. Haben Sie Acht«, erwiderte der Vorsitzende.
»Also, Herr Renna, ich hätte da noch ein paar Fragen an Sie... ach ja, ich wollte Ihnen gerne ein paar Fotos zeigen.« Ich kramte einen Stoß Farbkopien, die ich von Fotos hatte machen lassen, aus der Aktentasche und stellte mich dabei bewusst etwas ungeschickt an.
»Herr Vorsitzender, darf ich dem Zeugen diese Bilder zeigen?«
»Was sind das für Bilder, Avvocato?«
Jetzt begab ich mich wirklich auf eine Gratwanderung. Ein falsches Wort in die eine Richtung, und ich hatte ein Disziplinarverfahren am Hals. Ein falsches Wort in die andere Richtung, und ich machte alles zunichte, was ich bis zu diesem Moment erreicht hatte.
»Fotos von Ausländern, Herr Vorsitzender. Mich interessiert, ob der Zeuge jemanden darauf erkennt.« Neutral.
Der Vorsitzende bedeutete mir mit dem üblichen Wink, weiterzumachen. Ich hoffte, dass Cervellati nicht verlangen würde, die Bilder zu sehen oder genauere Auskunft über die abgebildeten Personen forderte, wie es sein Recht gewesen wäre. Er tat es nicht. Die Fotos in der Hand begab ich mich zum Zeugenstand.
»So, Herr Renna, wenn Sie sich bitte mal diese zehn Bilder anschauen würden.« Ich spürte, wie mein Herz zu rasen begann.
Renna sah sich die Fotos an. Ihm war jetzt nicht mehr so wohl in seiner Haut wie vorher. Er saß jetzt auf der äußersten Kante seines Stuhls. Fluchtposition nennen das die Psychologen.
»Erkennen Sie auf diesen Bildern jemanden wieder?«
»Nein, ich glaube nicht. Vor meiner Bar kommen so viele von denen vorbei, ich kann mich nicht an jeden erinnern.« Ich sammelte die Bilder wieder ein und ging an meinen Platz zurück, bevor ich die nächste Frage stellte.
»An Herrn Thiam konnten Sie sich aber gut erinnern, nicht wahr?«
»Doch, doch. Der kam ja auch jeden Tag vorbei.«
»Und Sie würden ihn auch wieder erkennen, beispielsweise wenn Sie ihm auf der Straße begegneten oder ihn auf einem Foto sähen?«
»Ja, bestimmt. Das ist der dort in dem Käfig.« Sagte Renna und drehte sich erst dann nach Abdou um. Ich schwieg ein paar Sekunden, bevor ich meine Schlussfolgerung zog.
»Wissen Sie, Herr Renna, diese letzte Frage habe ich Ihnen gestellt, weil auf den Fotos, die ich Ihnen gezeigt habe, gleich zweimal Herr Thiam, der Angeklagte, abgebildet ist. Trotzdem hatten Sie den Eindruck, niemanden darauf wieder zu erkennen. Wie erklären Sie sich das?«
Überraschungscoups wie dieser sind in Prozessen wie im wahren Leben äußerst selten. Wenn sie einem jedoch gelingen, ist das ein Gefühl, das sich kaum beschreiben lässt. Mir war, als sei die Zeit stehen geblieben, ich spürte die Spannung in der Luft und auf meiner Haut. Ich fühlte Margheritas Augen, die auf mich gerichtet waren, und wusste, dass ich sie jetzt nicht zu fragen brauchte, ob ich gut gewesen sei. Ich war gut gewesen.
»Zeig mir die Bilder noch mal...« Er war zum Du übergegangen, und nicht gerade aus Sympathie. So was kommt vor.
»Nein, die bleiben für den Moment bei mir, Herr Renna. Ich versichere Ihnen aber, dass auf zwei der Fotos der Angeklagte zu sehen ist, wie auch das Gericht in Kürze feststellen wird, wenn ich sie zu den Akten gebe. Von Ihnen würde ich jetzt gerne erfahren, wie Sie es erklären – so Sie es denn erklären können -, dass Sie außer Stande waren, Herrn Thiam wieder zu erkennen.«
Renna antwortete wütend, beinahe im Dialekt.
»Erklären, erklären, wie soll ich das erklären? Die sehen doch alle gleich aus, diese Neger. Was willst du von mir, nach einem Jahr? Ich möchte dich mal erleben...«
Genug, genug, genug, hämmerte ich mir ein, während ich gegen die Versuchung kämpfte, eine weitere Frage zu stellen und definitiv zu triumphieren. Oder alles kaputtzumachen. Genug.
»Danke, Herr Vorsitzender, ich bin fertig. Ich beantrage, die Fotos, beziehungsweise Fotokopien, die ich während der Vernehmung verwendet habe, in die Prozessakten aufzunehmen. Die beiden, auf denen der Angeklagte zu sehen ist, habe ich auf der Rückseite entsprechend beschriftet. Die anderen sind verschiedenen Zeitschriften entnommen und zeigen Personen, die nichts mit diesem Prozess zu tun haben.«
Cervellati wollte noch ein paar Fragen stellen, das Gesetz gab ihm das Recht dazu. Aber allein die Tatsache, dass er von diesem Recht Gebrauch machte,
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