Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
am Vortag, als Paolicelli mir seine Geschichte erzählt hatte: Die Zollfahnder hatten bestimmt einen Tipp bekommen, und so notierte ich mir auf dem weißen Blatt, das ich neben der Akte liegen hatte: Grund der Kontrolle? Eine Frage, die dazu auserkoren ist, unbeantwortet zu bleiben, dachte ich, bevor ich zum nächsten Punkt überging.
Den Protokollen waren die Aussagen Paolicellis beigelegt.
Protokoll der Erstvernehmung des Beschuldigten lautete die Überschrift. Von den Formalien einmal abgesehen, war es ein sehr kurzes Dokument. Die Kernaussage war in folgender Passage enthalten:
»Ich nehme zur Kenntnis, dass in meinem Pkw Kokain mit einem Gesamtgewicht von 40 Kilogramm gefunden wurde. Dazu sage ich aus, dass diese Betäubungsmittel ausschließlich mir gehörten und dass meine Frau Natsu Kawabata, deren vollständige Personalien an anderer Stelle aufgenommen werden, in keiner Weise an der illegalen Einfuhr derselben beteiligt war, die somit einzig mir anzulasten ist. Ich habe die Betäubungsmittel ohne Wissen meiner Frau in unserem Pkw transportiert. Die Namen der Personen, bei denen ich vorgenannte Menge an Betäubungsmitteln erstanden habe, gebe ich nicht an; ebenso wenig die der Personen, bei denen ich die Droge abliefern sollte. Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen.«
Gelesen, bestätigt und unterzeichnet.
Auf meinem Notizzettel vermerkte ich: Aussage verwertbar?
Anders ausgedrückt, es gab ernsthafte Zweifel an der Gültigkeit und Verwertbarkeit dieser Aussagen, da sie nicht im Beisein eines Anwalts protokolliert worden waren. Das war zwar nur ein schwacher Aufhänger, aber angesichts der Lage durfte nichts außer Acht gelassen werden.
Ich ging rasch zum Bericht der Zollfahnder über, der dieselben Informationen enthielt wie das Festnahme- und das Beschlagnahmeprotokoll, darüber hinaus aber noch das Protokoll der Befragung durch den Haftrichter, bei der mein – möglicher – Mandant von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte. In diesem Protokoll tauchte zum ersten Mal der Anwalt Corrado Macrì auf.
Auf mein Blatt schrieb ich: Avvocato Macrì, wer zum Teufel bist du, verdammter Arsch?
Das Schöne an persönlichen Notizen ist, dass man hinschreiben kann, was man will, einschließlich Schweinereien. Bei mir ist es so: Schimpfwörter helfen mir beim Denken. Wenn ich meine Notizen mit deftigen Ausdrücken spicke, kommen mir die besten Ideen.
Manchmal lasse ich diese Notizen jedoch liegen, wo sie nicht hingehören. Beispielsweise zwischen den Unterlagen, die ich einer Berufungsakte oder einer Nebenklageschrift beilege.
In der Regel sieht Maria Teresa alles noch einmal durch, entdeckt die spaßigen Zettelchen, entfernt sie und rettet meinen guten Ruf. In der Regel.
Einmal war sie krank und ich war gezwungen, zwei Tage lang Rechtsanwalt und Sekretär zu spielen. In diesen zwei Tagen reichte ich unter anderem einen Antrag auf häuslichen Arrest für einen inhaftierten Mandanten ein. Einen Herrn, der eine ganze Reihe von Briefkastenfirmen gegründet hatte, um mehrere Millionen Euro im Nichts verschwinden zu lassen.
Staatsanwaltschaft und Steuerfahnder waren ihm auf die Schliche gekommen und hatten ihn hinter Gitter gebracht. Und sie hatten gut daran getan, auch wenn ich das als Anwalt eigentlich nicht sagen dürfte.
In meinem Antrag berief ich mich auf Dokumente, aus denen hervorging, dass die Vergehen meines Mandanten – des Herrn Saponaro, seines Zeichens Steuerberater und bekennender Homosexueller – weniger schwerwiegend waren, als es im ersten Moment ausgesehen hatte. Ich unterstrich, dass mein Mandant bereits drei Monate abgesessen hatte, machte mildernde Umstände geltend und wies darauf hin, »dass der veränderte Sachverhalt eine so harte Strafe nicht mehr rechtfertige«. Das übliche Repertoire.
Ein paar Tage nachdem ich den Antrag beim Richter abgegeben hatte, rief mich seine Geschäftsstelle an. Der Vorsitzende wollte mich sprechen? Aber sicher, ich würde noch am selben Vormittag vorbeikommen. Ob ich vielleicht vorab schon erfahren könne, worum es gehe? Nur um nicht ganz unvorbereitet zu sein. Ach so, das hatte er nicht gesagt. Also gut, ich würde mich sofort auf den Weg machen.
Eine halbe Stunde später war ich im Büro des Richters.
»Guten Tag, Herr Vorsitzender. Sie haben mich rufen lassen.« Lächeln, höflich fragende Miene.
»Guten Tag, Herr Guerrieri. Ja, ich habe Sie rufen lassen, weil ich Ihnen gern etwas zeigen möchte.«
Mit diesen Worten zog er
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