Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
ein Notizblatt aus einem roten Aktendeckel hervor.
»Ich glaube, das ist von Ihnen. Soll ich das als Anlage zum Gesuch von Herrn Saponaro betrachten?«
Er reichte mir den Zettel. Es waren die Notizen, die ich mir beim Verfassen des Antrags gemacht hatte. In meinem Kopf ertönte eine Art Donnergrollen, wie von einer heranrollenden Flutwelle oder einer herbeigaloppierenden Büffelherde. Ich wurde rot.
Die Notizen kreisten im Wesentlichen um Begriffe, die in der Juristerei absolut nichts zu suchen haben, wie »Schwuler«, »Schwein« und »Halunke«. Selbst ein mediokrer Interpret dieser handschriftlichen Aufzeichnungen hätte sofort begriffen, dass es sich bei dem Schwulen, Schwein und Halunken um Herrn Saponaro handelte und dass der Anwalt desselben – also ich – alles andere als felsenfest von seiner Unschuld überzeugt war.
Ich überlegte, was ich dem Richter als Erklärung für diese Katastrophe hätte sagen können. Aber natürlich fiel mir nichts ein.
So fragte ich ihn nur, ob er meinen Ausschluss bei der Anwaltskammer persönlich beantragen wolle oder ob ich mich besser selbst beim Kammervorsitz anzeigte. Mir sei es im Grunde gleich. Ich bat ihn lediglich, den unglücklich gewählten Ausdruck »Schwuchtel«, mit dem ich auf die sexuellen Vorlieben meines Mandanten anspielte, nicht an die große Glocke zu hängen, um nach Möglichkeit zu vermeiden, dass neben meinem beruflichen Leumund auch noch meine Reputation als Linker durch diesen geschmacklosen Fehltritt ruiniert wurde.
Der Richter war ein sehr humorvoller Mann. Er gab mir den Zettel zurück und verzichtete auf eine Anzeige.
Dem Gesuch in der Sache Saponaro gab er nicht statt, aber das wäre auch wirklich zu viel verlangt gewesen.
Die Akte hatte sonst wenig Interessantes zu bieten.
Da war noch die toxikologische Analyse des Betäubungsmittels. Das Kokain hatte einen Reinheitsgrad von 68 %, war also von erstklassiger Qualität. Laut Gutachten hätten sich daraus Hunderttausende von Einzeldosen herstellen lassen.
Außerdem enthielt die Akte die Liste mit den Verbindungsdaten der Mobiltelefone von Paolicelli und Gattin. Die Steuerfahnder hatten die Daten eingeholt, um zu überprüfen, ob es relevante telefonische Kontakte unmittelbar vor oder nach der Zollkontrolle gegeben hatte. Offenbar hatten sie nichts gefunden, denn die Liste war mit äußerst spärlichem Kommentar an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden. »Aus den eingeholten Fernmeldedaten geht nichts hervor, was für die Ermittlungen von Belang wäre.« Ende.
Ansonsten enthielt die Akte nur noch den Haftbefehl mit höchstens zehn Zeilen Begründung sowie das Urteil. Auch Letzteres eher knapp gehalten. Freilich, was hätte man auch viel mehr schreiben können als: »Der Angeklagte wird aufgrund der hinreichend gesicherten Indizienlage für schuldig befunden. Er hat die Drogen mit seinem Wagen transportiert, zudem hat er sich bereits vor seiner Festnahme freiwillig zu der Tat bekannt. Anderweitige plausible Hypothesen sind bei einem derart eindeutigen Sachverhalt ausgeschlossen und wurden vom Angeklagten während der Anhörung durch den Haftrichter auch nicht vorgebracht. Herr Paolicelli hat sich angesichts der Beweislage verständlicherweise auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen.«
Ich kreiste mit meinem Stift den Ausdruck anderweitige plausible Hypothesen ein. Genau das war der entscheidende Punkt. Das ist bei Strafprozessen immer der entscheidende Punkt: plausibel klingende, alternative Erklärungen für die von der Anklage gelieferten Beweise anbieten zu können.
Doch welche alternative Hypothese konnte man in einem Fall wie diesem vorbringen?
Die einzige Alternative wäre, dass Paolicelli mir die Wahrheit gesagt hatte und dass jemand anderes – wie und wann auch immer – das Rauschgift in seinen Wagen geschmuggelt hatte. Wenn diese Geschichte jedoch stimmte, steckte Paolicelli tatsächlich bis zum Hals in der Scheiße.
War denkbar, dass er von irgendjemandem in diese Sache hineingeritten worden war? Dass jemand die Drogen in seinem Wagen versteckt hatte, um ihn dann der Polizei auszuliefern?
Ich verwarf diese Hypothese sofort wieder. Denn wer opfert schon vierzig Kilo Kokain, bloß um jemandem eins auszuwischen? Wenn du jemandem eins auswischen willst, jubelst du ihm zehn Gramm unter, am besten in vierzig Einzelportionen, damit auch der Dümmste kapiert, dass der Koks für den Verkauf bestimmt ist. Danach lässt du die Falle zuschnappen. Eine glatte Sache und
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