Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
westlicher Richtung.
Toller Freitagabend, sagte ich mir, während ich meine Kanzlei zusperrte und den Heimweg antrat.
7
A m Montagmorgen bat ich Maria Teresa, Frau Kawabata anzurufen und ihr mitzuteilen, dass ich das Mandat übernähme; ich würde ihren Mann noch diese Woche im Gefängnis besuchen. Sie – Maria Teresa – möge bitte in der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts vorbeischauen und nachsehen, ob schon ein Verhandlungstermin bestimmt worden sei.
An diesem Punkt zögerte ich – so, als sei mir entfallen, was ich noch hatte sagen wollen. Maria Teresa fragte, ob sie Frau Kawabata vielleicht bitten solle, in der Kanzlei vorbeizukommen und eine Anzahlung zu leisten, und ich meinte, ja, genau das sei es gewesen. Sie möge bitte in der Kanzlei vorbeikommen. Und eine Anzahlung leisten.
Genau.
Danach steckte ich die Unterlagen ein, die ich für die Verhandlungen an diesem Vormittag brauchte, und verließ das Büro.
Draußen war es eiskalt, und ich sagte mir, dass man ja nicht immer das Fahrrad nehmen müsse, dass man ausnahmsweise auch mal ein paar Schritte zu Fuß gehen konnte. Zunächst betrat ich die Bar im Haus meiner Kanzlei, trank einen Cappuccino und machte mich dann auf den Weg zum Gericht. Von unterwegs rief ich Carmelo Tancredi an.
»Guido! Sag mir nicht, dass einer von den Verbrechern, die wir heute Nacht gekriegt haben, dein Mandant ist. Bitte sag es mir nicht.«
»Okay, ich sag es dir nicht. Wen habt ihr denn heute Nacht erwischt?«
»Einen Pädophilenclub, der Urlaubsreisen nach Thailand organisiert. Exportschweine. Wir haben sechs Monate an der Operation gearbeitet. Zweien unserer Leute ist es gelungen, unter falschem Namen mitzufahren. Sie haben Tonnen von Beweismaterial gesammelt. Sogar die thailändische Polizei hat mitgezogen, unglaublich, aber wahr.«
»Und heute Nacht habt ihr sie festgenommen?«
»Ja. Du kannst dir nicht vorstellen, was wir in ihren Wohnungen gefunden haben.«
»Nein, das kann ich nicht, und ich will es auch gar nicht wissen.«
Das stimmte nur zur Hälfte. Wissen wollte ich es nicht, aber vorstellen konnte ich mir sehr gut, was sie bei den Hausdurchsuchungen gefunden hatten. Auch ich hatte mich schon mit dem einen oder anderen Fall von Pädophilie beschäftigt – immer auf Seiten der Opfer – und kannte das Material, das man diesen Leuten abnahm. Autopsiefotos sind im Vergleich dazu ein erholsamer Anblick.
»Gut, zum Glück rufst du also nicht an, weil du einen von diesen Dreckskerlen vertrittst. Warum dann?«
»Ich wollte dich auf einen Kaffee einladen und ein wenig mit dir plaudern, aber wenn du heute Nacht durchgearbeitet hast und jetzt ins Bett willst, macht es nichts. Mir ist klar, dass man in deinem Alter...«
Er stieß einen Satz in reinstem Sizilianisch aus. Und obwohl ich nicht genau verstand, was er sagte, ahnte ich doch, dass es sich um höfliche Kritik an meinem Humor handelte.
Dann kehrte er zum Italienischen zurück. Er meinte, er müsse warten, bis die Festnahme- und Beschlagnahmeprotokolle und alle übrigen Unterlagen der Operation fertig seien. Er müsse die Papiere einzeln überprüfen, meinte er, denn die Jungs aus seiner Sektion seien zwar erstklassig im Beschatten, Verfolgen, Auflauern, Türen eintreten, Verbrecher fassen und eventuell ein wenig Zuschlagen, was gelegentlich nicht schaden konnte, mithin im praktischen Einsatz, müssten jedoch streng überwacht werden, sobald sie Hand an Computer oder Gesetze legten. Er sei vermutlich gegen Mittag fertig, und wenn ich wolle, könne ich ihn dann im Präsidium abholen und zu einem Aperitif einladen.
Ich meinte, das passe gut und ich käme um halb eins vorbei.
Dann ging ich zum Gericht und brachte meine Verhandlungen hinter mich. Routinemäßig, unter Ausschaltung meines Gewissens.
In den ersten Berufsjahren – als Referendar und auch noch, als ich schon Rechtsanwalt war – hatte ich den Moment der Ankunft im Gericht immer besonders genossen. Man traf zwanzig Minuten vor Beginn der ersten Verhandlung ein, begegnete dem einen oder anderen Bekannten, ging einen Kaffee trinken, rauchte eine Zigarette im Korridor, was damals noch erlaubt war. Manchmal traf man auch ein Mädchen, das einem gefiel, und verabredete sich mit ihr für den Abend.
Mit der Zeit waren diese Rituale rar geworden und irgendwann ganz verschwunden. Wie das nun mal passiert, wenn man keine dreißig mehr ist. Das liegt in der Natur der Sache. Jedenfalls hatte es mir immer weniger Spaß gemacht, morgens im Gericht
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