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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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auf ein Minimum zu begrenzen.
    Ich fragte ihn, ob ihm auf der Fähre jemand aufgefallen sei, den er bereits in Montenegro gesehen hatte, im Hotel oder sonst wo.
    »Auf der Fähre war einer, der auch in unserem Hotel gewohnt hat. Das ist das Einzige, woran ich mich erinnere.«
    »Wissen Sie noch, woher dieser Mann kam oder wie er hieß?«
    Paolicelli schüttelte entschieden den Kopf.
    »Das wusste ich nie. Ich habe ihn ein paar Mal im Hotel gesehen und danach einen Moment lang auf der Fähre. Wir haben uns kurz gegrüßt, und das war’s. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass er Italiener war.«
    »Meinen Sie, Sie würden ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn noch einmal sähen?«
    »Ja, das glaube ich schon. Ich erinnere mich noch ziemlich gut an ihn. Aber wie machen wir ihn ausfindig?«
    Ich antwortete ihm mit einer Geste, die besagen sollte: Keine Sorge, das ist schließlich mein Job. Ich habe alles unter Kontrolle. Was im Grunde wortloser, wenn auch gut artikulierter Blödsinn war. In Wirklichkeit war es eben nicht mein Job. Personen ausfindig zu machen ist Sache der Polizei und nicht die eines Anwalts. Und vor allem hatte ich nicht die blasseste Ahnung, wie ich es hätte bewerkstelligen sollen. Außer noch einmal zu Tancredi zu gehen und ihn erneut um Hilfe zu bitten.
    Paolicelli schien meine Geste jedoch zu genügen. Okay, wenn du weißt, was du tust, und das dein Job ist, bin ich beruhigt. Dann bin ich wirklich beim richtigen Anwalt, dem, der mich hier rausholt. Dem Perry Mason der apulischen Pampa.
    Ich fand, das reiche für diesen Morgen.
    Paolicelli begriff, dass unsere Unterhaltung zu Ende war, dass ich jeden Moment gehen würde und er in seine Zelle zurückmusste. Sein Gesicht jedoch sagte, dass er das nicht wollte, dass er nicht wieder allein sein wollte.
    »Verzeihen Sie, Avvocato, ich habe noch eine Frage. Sie meinten, wir könnten entweder einen Vergleich beantragen oder alles auf Freispruch setzen. Wie lange haben wir noch Zeit, uns das zu überlegen? Ich meine, wann muss unsere Entscheidung spätestens fallen?«
    »Am Tag der Verhandlung. Erst dann müssen wir sagen: Wir möchten den Prozess regulär durchziehen, oder aber: Wir stellen einen Antrag auf Strafmilderung und wollen einen Vergleich aushandeln. Bis zur Verhandlung sind es noch ein paar Wochen, wir haben also genügend Zeit, es uns zu überlegen. Und lassen Sie uns hoffen, dass wir in dieser Zeit noch auf irgendetwas stoßen, das uns weiterhilft. Andernfalls wäre ein regulärer Prozess purer Selbstmord.«
    Viel mehr gab es nicht zu sagen, und das wussten wir beide. Er wandte den Blick von mir ab, heftete ihn auf den Boden und blieb so sitzen. Nach einer Weile begann er, die Finger ineinander zu verschlingen, und zwar so gründlich, dass er sie sich beinahe verrenkte.
    Ich war drauf und dran, aufzustehen, mich zu verabschieden und zu gehen. Ich spürte, wie meine Beinmuskeln mich in die Höhe trieben, weg vom Stuhl, weg von diesem Ort.
    Aber ich rührte mich nicht. Ich fand, er habe das Recht auf ein paar Minuten Stille. Um sich in Frieden seiner Verzweiflung hinzugeben. Die Finger ineinander zu verschlingen, ohne dass ich ihn dabei unterbrach, indem ich sagte, für heute sei Schluss, ich müsse jetzt gehen – das Gebäude verlassen, in dem er eingeschlossen war -, wir sähen uns bald wieder.
    Wohlgemerkt, wann ich es will, und nicht, wann du es willst.
    Denn ich bin frei und du nicht.
    Er hatte ein Recht auf diese Minuten gemeinsamen Schweigens, in denen er in aller Ruhe seinen Gedanken nachhängen konnte.
    Um die Zeit auszufüllen, ließ auch ich meinen Gedanken freien Lauf und dachte, wie schon so oft, über die Situation nach, in der wir uns befanden. Ich wissentlich, er unwissentlich. Ich wusste, dass wir uns vor vielen Jahren schon einmal begegnet waren, er wusste es nicht. Und wahrscheinlich hatte er es nie wirklich gewusst, weil er den kleinen Jungen, den sein Freund verprügelt hatte, gar nicht wirklich angesehen hatte. Die Episode als solche hatte er jedenfalls vergessen, dessen war ich mir sicher.
    Er wusste also nicht, dass er die Obsession meiner Jugend gewesen war.
    Er wusste nicht, wie oft ich mit offenen Augen davon geträumt hatte, zuerst seinem Freund und dann ihm die Fresse einzuschlagen. Das wusste er nicht, und jetzt war ich sein Anwalt und somit seine einzige Hoffnung.
    Er fuhr fort, die Finger ineinander zu verschlingen, während ich an die Worte dachte, die ich für ihn vorbereitet hatte, wenn der passende Moment

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