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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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echtes Glück gehabt hatte, denn diese Typen waren völlig unberechenbar, sie waren richtige Kriminelle. Ich sagte mir, dass ich froh sein konnte, an dem Abend, an dem sie mich wegen meines Parkas zusammengeschlagen hatten, nicht auch noch einen Messerstich abbekommen zu haben.
    Lange Zeit war ich wie besessen gewesen von Rachegedanken. Wenn ich erst einmal groß, stark und vor allem in der Lage sein würde, mich zu prügeln (fürs Erste hatte ich Boxunterricht genommen), wollte ich sie mir einen nach dem andern vorknöpfen und mit ihnen abrechnen. Den Kleinen, Muskulösen würde ich mir als Ersten vornehmen, danach die andern, an deren Aussehen ich mich allerdings nicht mehr so genau erinnerte, aber das war nebensächlich. Zuletzt den Blonden mit dem David-Bowie-Gesicht, der lächelnd das Spektakel genossen hatte. Und vielleicht würde ich, während ich ihm die Fresse polierte, so ganz nebenbei auch noch erfahren, was wirklich am Abend jenes 28. Novembers passiert war, wer die Messerstecher gewesen waren und ob er dazugehört hatte.
    »Guten Morgen, Avvocato.«
    In Gedanken versunken, wie ich war, hatte ich überhaupt nicht gehört, wie die Tür aufging. Ich zuckte leicht zusammen, und danach zuckten meine Mundwinkel, ebenso leicht, wenn auch nicht vor Schreck, sondern als Erwiderung auf seinen Gruß. Mehr Freundlichkeit konnte ich Paolicelli nach dieser Flut von Erinnerungen beim besten Willen nicht entgegenbringen.
    »Ich bin sehr froh, dass Sie mich verteidigen wollen. Das gibt mir das Gefühl, vielleicht doch noch eine Chance zu haben. Auch meine Frau meint, sie habe Vertrauen zu Ihnen.«
    Es war mir unangenehm, dass er von seiner Frau redete. Und es war mir unangenehm, dass er so anders war als der Typ mit dem bösen Gesicht, den ich während meiner gesamten Jugend gehasst hatte. Eigentlich war er ganz normal, beinahe sympathisch.
    Aber ich wollte nicht, dass er mir sympathisch war.
    »Herr Paolicelli, am besten reden wir von Anfang an Klartext. Um keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. Ich habe beschlossen, Ihren Fall zu übernehmen, und werde mein Möglichstes tun. Wir werden gemeinsam überlegen, wie wir vorgehen und für welche Art von Prozess wir uns entscheiden. Aber eins steht fest: Die Situation ist und bleibt schwierig. Machen Sie sich das bitte bewusst.«
    Das klang gut. Der sachliche Ton war das ideale Mittel gegen die Verlegenheit, die ich bis vor wenigen Sekunden empfunden hatte. Und nebenbei war es eine schöne Gemeinheit, ihm unter dem Deckmantel der Professionalität selbst diesen kurzen Augenblick der Erleichterung sofort wieder zu rauben. Den Trost, den der empfindet, der monatelang von den schlimmsten Ängsten geplagt im Gefängnis gesessen hat und plötzlich jemandem begegnet, der auf seiner Seite steht und ihm helfen kann.
    Worin eigentlich die Existenzberechtigung von Rechtsanwälten besteht.
    Du bist wirklich ein Arschloch, Guerrieri, sagte ich zu mir selbst.
    Während ich meine Tasche öffnete und die Papiere herausholte, sprach ich weiter, ohne ihn anzusehen.
    »Ich habe die gesamte Akte durchgelesen, mir ein paar Notizen gemacht und würde mich jetzt gerne mit Ihnen auf eine Verteidigungsstrategie einigen. Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten – die sich stark voneinander unterscheiden.«
    Ich hob den Blick, um zu prüfen, ob er mir folgte. Es war das erste Mal, dass ich ihm wirklich ins Gesicht sah. Ich meine, in sein wahres Gesicht als Mann über vierzig, mit Falten und mit einem unerwartet sanftmütigen Blinken in den blauen Augen, und nicht in das Gesicht des jugendlichen Faschisten mit dem fiesen Grinsen, welches sich mir als Junge eingeprägt hatte.
    Es war ein sehr seltsames Gefühl. Eins, das die Dinge aus dem Lot brachte und Verwirrung schuf.
    Paolicelli nickte, weil ich aufgehört hatte zu reden und er doch wissen wollte, welches die beiden Möglichkeiten waren, die es im Wesentlichen gab.
    »Also, wie gesagt, zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, das Risiko und den Schaden so weit wie möglich zu begrenzen. Das heißt, wir stellen im Berufungsprozess einen Antrag auf Strafmilderung, hoffen auf einen möglichst nachgiebigen Staatsanwalt und handeln mit dem Gericht den größtmöglichen Strafnachlass aus...«
    Paolicelli wollte mich unterbrechen, aber ich stoppte ihn mit der offenen Hand, was so viel hieß wie: Warte, lass mich ausreden.
    »Ich weiß, Sie behaupten, das Rauschgift war nicht von Ihnen. Trotzdem muss ich Ihnen die verschiedenen

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