Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Hinterkopf. Vielleicht hatte er ja etwas zu bedeuten.
Wenn ich mehr in Erfahrung bringen wollte, musste ich mich an einen Freund in Rom wenden. Also ging ich im Geiste meine so genannten Freunde in Rom durch, was kein sonderlich zeitraubendes Unterfangen war.
Da waren zwei, drei Kollegen, mit denen ich bei Prozessen am Revisionsgericht oder am Landgericht Rom zu tun gehabt hatte, aber es wäre übertrieben gewesen, sie als Freunde zu bezeichnen. Des Weiteren fiel mir ein Journalist ein, der ein paar Jahre lang als Gerichtsreporter bei »La Repubblica« in Bari gearbeitet hatte. Ein netter Kerl, mit dem ich den einen oder anderen Kaffee oder Aperitif getrunken hatte, mehr nicht. Unsere Beziehung war immer oberflächlich geblieben. Außerdem weckte ich womöglich seine berufliche Neugier, wenn ich ihn anrief und über Macrì ausfragte.
Blieb nur noch mein alter Freund und Studienkollege Andrea Colaianni, der als Antimafia-Staatsanwalt beim Kriminalamt in Rom arbeitete. Der Einzige, an den ich mich problemlos wenden konnte und der eventuell die nötigen Informationen für mich haben könnte.
Ich durchforstete das Telefonverzeichnis meines Handys, fand seine Nummer und starrte eine paar Minuten auf das farbige Display. Wie lange hatten wir uns schon nicht mehr gesprochen, Colaianni und ich? Bestimmt seit Jahren. Einmal waren wir uns in Bari auf der Straße begegnet. Er war seine Eltern besuchen gekommen, wir hatten nur kurz miteinander geredet, und danach hatte ich das Gefühl gehabt, dass unsere Freundschaft, wie so vieles andere, der Vergangenheit angehörte. Was würde er denken, wenn ich jetzt bei ihm anrief? Vorausgesetzt, die Nummer, die ich hatte, stimmte überhaupt noch. Was sollte ich zu ihm sagen? Sollte ich eine Weile über Belangloses plaudern, bevor ich mein Anliegen loswurde, um nicht allzu dreist zu wirken?
Mit dem Telefonieren habe ich mich schon immer schwergetan. Was, wenn ich ihn störte? Vielleicht verhörte er gerade jemanden, vielleicht war er sonst wie beschäftigt. Überhaupt sind Staatsanwälte – auch wenn es sich um Freunde handelt – ganz unberechenbare Wesen.
Okay, das reichte.
Ich drückte auf die Anruftaste, und Colaianni meldete sich nach dem zweiten Klingelzeichen.
»Guido Guerrieri!« Es wunderte mich, dass er meine Nummer gespeichert hatte.
»Ciao, Andrea. Wie geht es dir?«
»Gut. Und wie geht es dir?«
Auf diese Weise begannen wir zu plaudern. Wir plauderten mindestens zehn Minuten lang über alles Mögliche. Über die Familie – wer eine hatte, also er -, über die Arbeit, über gemeinsame, alte Freunde, die wir beide schon ewig nicht mehr gesehen oder gehört hatten. Über Sport. Du boxt immer noch? Der gute alte Guerrieri, verrückt wie eh und je.
Am Ende nannte ich ihm den Grund meines Anrufs. Ich erklärte ihm kurz, worum es ging, meinte, dass ich im Dunkeln tappe und nicht wisse, was ich tun und was ich meinem Mandanten raten solle. Dass ich ein paar Informationen bräuchte, um klarer zu sehen. Und sei es nur, um meinem Mandanten ruhigen Gewissens sagen zu können, mehr als ein halbwegs annehmbarer Vergleich sei nicht drin.
Colaianni meinte, er habe den Namen Macrì noch nie gehört, was in einer Stadt wie Rom nicht viel zu bedeuten hätte. Jedenfalls wollte er sich ein wenig umhören und mir in ein paar Tagen Bescheid geben.
»Mach dir aber keine Illusionen. Das Wahrscheinlichste ist, dass dein Mandant die Drogen tatsächlich einführen wollte, ohne seiner Frau etwas davon zu sagen. Und jetzt streitet er alles ab, weil er sich schämt und nicht den Mut hat, es ihr zu beichten.«
Eben. Das wusste ich auch, und beinahe hoffte ich, dass dem wirklich so wäre.
Es hätte alles leichter gemacht.
10
F rüher oder später musste es ja passieren. Ich meine: dass ich mir erneut diese Frage stellte. Es geschah wie von selbst, während ich im Anwaltszimmer des Gefängnisses auf Paolicelli wartete.
Stimmte es wirklich, was man sich in jenen Jahren erzählt hatte? War er einer der Täter gewesen, die den jungen Mann ermordet hatten? Oder hatte er zumindest demselben Schlägertrupp angehört wie die Messerstecher?
Ich war noch viele Monate nach dem Mord von einem Bild verfolgt worden, das meine erschütterte Phantasie ersonnen hatte: Paolicelli, der den sterbenden jungen Mann betrachtete und dabei böse mit seinen dünnen Lippen lächelte, so, wie er gelächelt hatte, als ich von seinem Faschistenfreund zusammengeschlagen wurde.
Bisweilen dachte ich auch, dass ich
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