Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Dann schenkte er sich und mir nach.
Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Jetzt war klar, dass Macrì der Schlüssel zu dieser ganzen Geschichte war. Bestimmt war das Rauschgift, das der Zoll in Paolicellis Wagen gefunden hatte, von einem seiner Kunden – oder besser: Komplizen – gewesen. Und als Paolicelli dann verhaftet worden war, hatte man Macrì als Anwalt eingeschaltet, mit dem Auftrag, die Ermittlungen aus nächster Nähe zu verfolgen, zu sehen, was die Akte enthielt, und sicherzustellen, dass die Polizei den eigentlichen Drogendealern nicht auf die Schliche kam.
In diese Richtung deutete auch die Sache mit der Freigabe des beschlagnahmten Wagens – der merkwürdige Umstand, dass Macrì das Fahrzeug persönlich abgeholt hatte. Vielleicht war in dem Wagen außer dem Rauschgift ja noch etwas versteckt gewesen, etwas, was die Zollfahnder nicht gefunden hatten und was so schnell wie möglich verschwinden musste.
Dies alles galt natürlich nur, wenn Paolicelli tatsächlich nicht in die Sache verwickelt war. Denn es konnte ja auch sein, dass Macrì von der Organisation beauftragt worden war, ein Bandenmitglied – eben Paolicelli – zu verteidigen, das aufgrund eines bedauerlichen Zwischenfalls von der Polizei geschnappt worden und in die Mühlen der Justiz geraten war. Ein Klassiker.
Ich sagte meinem Freund, was ich dachte, und er nickte. Dasselbe dachte auch er.
»Und was fängst du jetzt mit dieser Information an?«
Tja. Was fing ich damit an?
Ich meinte, das müsse ich mir noch durch den Kopf gehen lassen; vielleicht ließ sich anhand dieser Information ja noch mehr herausbekommen, dazu konnte ich auch einen Privatdetektiv einschalten. In Wahrheit hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte.
Im Moment des Abschieds meinte Colaianni, es habe ihn gefreut, mich wiederzusehen und mit mir zu reden. Und das sagte er in beinahe ängstlichem Ton, so, als wolle er mich irgendwie aufhalten. Er tat mir leid deswegen, und gleichzeitig war mir das peinlich.
Auf einmal wollte ich nur noch weg. Weit weg von dieser plötzlich sichtbaren Schwäche, dieser Verzweiflung, dem Gefühl des Versagens.
Während ich die Autobahnauffahrt hochfuhr, dachte ich an meinen Freund Colaianni.
An die Dinge, die er mir gesagt hatte – nicht die über Macrì -, und an sein mühsam unterdrücktes, heimliches Grauen. Ich fragte mich, wie sein Leben, wie unser Leben wohl aussehen würde, wenn wir uns das nächste Mal trafen.
Dann wurde alles von der halbleeren Autobahn verschluckt.
21
W as ich mit dieser Information anfangen wolle, hatte Colaianni mich gefragt.
Ich wisse es nicht, hatte ich ihm geantwortet. Und ich wusste es tatsächlich nicht. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich damit anfangen sollte. Zwar wusste ich jetzt, dass Macrì mit Mafiosi und Drogendealern verkehrte. Aber genauer betrachtet, änderte das nicht viel an meinem Dilemma.
Nein, ich wusste nicht, was ich anfangen sollte, und das war auch der Grund, weshalb ich nicht zu Paolicelli ging, um ihm von den Neuigkeiten zu berichten. Wenn er unschuldig war, wollte ich keine unbegründeten Hoffnungen wecken. Und wenn er schuldig war – dieser Zweifel war mir im Gespräch mit Colaianni wieder sehr stark gekommen -, wollte ich nicht mehr als nötig die Rolle des leichtgläubigen Idioten spielen.
Aus demselben Grund und aus anderen, über die ich keine Lust hatte mir Rechenschaft abzulegen, unterließ ich es auch, Natsu Bescheid zu geben. Auch wenn ich mehrmals versucht war, sie anzurufen.
Ich hätte gern mit Tancredi darüber gesprochen, aber ich sagte mir, dass ich die Freundschaft mit ihm nicht überstrapazieren durfte. Davon abgesehen hätte ich auch gar nicht gewusst, worum ich ihn bitten sollte, außer wieder mal um einen Ratschlag.
Auf diese absurde Weise vergingen etliche Tage.
Bis ich eines Tages beim Verlassen des Büros meinen Namen rufen hörte. Ich sah auf und erkannte Natsu am Steuer eines Geländewagens. Mit einem schüchternen Lächeln winkte sie mich zu sich. Ich überquerte die Straße und stieg bei ihr ein, wobei ich mich verstohlen umblickte – als hätte ich etwas zu verbergen.
Und so war es ja auch.
22
F ahren wir ans Meer?«
Ich sagte ja, und kurz darauf glitt ihr Wagen bereits durch Straßen, auf denen ungewöhnlich wenig Verkehr herrschte. Sie hatte eine sehr lockere Art zu fahren, tief in den bequemen Sitz gedrückt, beide Hände entspannt aufs Lenkrad gelegt, den Blick auf die Straße gerichtet. Einen Moment lang dachte ich,
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