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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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vermutlich total aus der Bahn.
    »Egal. Scheiß drauf.«
    In diesem Moment trat von hinten der Kellner auf uns zu. Wir bestellten Büffelmozzarella, gegrilltes Fleisch und Rotwein aus Lucera.
    »Ich habe ein paar Kollegen nach diesem Anwalt Macrì gefragt, aber keiner hat je von ihm gehört. Auch ein paar befreundete Anwälte, die ich nach ihm gefragt habe, kennen ihn nicht. Was in einer Stadt wie Rom nicht viel heißen will. Aber ganz normal ist es auch nicht.«
    Nein, dachte ich, normal war das nicht. Die Rechtsanwälte und Richter, die sich mit Strafprozessen befassen, bilden selbst in einer großen Stadt wie Rom eine eigene, kleine Gemeinschaft. Es ist wie in einem Dorf, in dem jeder jeden kennt. Wenn du in diesem Dorf lebst und keinem bekannt bist, stimmt etwas nicht. Das heißt, du arbeitest wenig oder gar nicht. Und wenn dem so ist, woher nimmst du dann das Geld zum Leben?
    »Also habe ich beschlossen, ein wenig in unserer Datenbank zu forschen. Sie enthält die Akten sämtlicher Prozesse und Ermittlungen der letzten zehn Jahre, die mit der Mafia und der organisierten Kriminalität zu tun haben, in ganz Italien. Ich dachte mir: Wenn Macrì in irgendeinem dieser Prozesse Verteidiger war, finde ich ihn, und dann können wir uns vielleicht ein genaueres Bild von ihm machen.«
    »Und, hast du ihn gefunden?«
    In diesem Moment erschien der Kellner mit dem Wein und schenkte uns ein. Colaianni leerte sein Glas auf eine Art und Weise, die mir nicht gefiel. Und mir gefiel auch nicht, wie er es gleich wieder füllte. Er sah mir in die Augen.
    »Dieses Gespräch hat selbstverständlich nie stattgefunden.«
    »Oh, nein, und ich bin auch nie nach Foggia gekommen.«
    »Du hast es erfasst. Tja, also, ich hab ihn gefunden, den Herrn Corrado Macrì. Nur dass er nicht als Verteidiger in der Datenbank auftaucht, sondern als Angeklagter in einem Prozess, bei dem es um Mafia und Drogenhandel ging. Der Ermittlungsrichter von Reggio Calabria hat ihn vor drei Jahren verhaften lassen.«
    »Was hat er getan?« Während ich diese Frage stellte, wurde mir bewusst, wie stark wir bei allem, was wir sagen oder auch denken, von dem beeinflusst werden, was der andere darstellt, welche Rolle er spielt. Wäre Macrì mein Mandant gewesen, so hätte ich mit Sicherheit erst einmal gefragt, was man ihm vorgeworfen hatte, und wäre nicht stillschweigend davon ausgegangen, dass dieser Vorwurf stimmte und er tatsächlich etwas getan hatte.
    Colaianni zog unterdessen ein paar Blätter aus seiner Tasche, wählte eins davon aus und begann mir die Anklagepunkte vorzulesen.
    »Mal sehen... ja, hier: Von einigen – im Folgenden namentlich aufgelisteten – Spitzenvertretern der organisierten Kriminalität zum Verteidiger ernannt, fungierte Corrado Macrì als Verbindungsmann zwischen den inhaftierten Anführern und den auf freiem Fuß befindlichen Bandenmitgliedern. In seiner Eigenschaft als Verteidiger hatte er Zugang zu den – im Folgenden ebenfalls namentlich aufgelisteten – Justizvollzugsanstalten, in denen die oben genannten Personen einsaßen, und konnte sie solcherart über alles unterrichten, was sich während ihrer Abwesenheit innerhalb der kriminellen Vereinigung abspielte; desgleichen konnte er mit den einsitzenden Anführern Verbrechensstrategien und kriminelle Handlungen absprechen und ihre Beschlüsse und Befehle nach draußen weiterleiten.«
    Er hörte auf zu lesen – es hatte ihn einiges an Mühe gekostet, und ich vermutete, dass er bald eine Lesebrille brauchen würde – und sah mich an.
    »Er war der Meldegänger.«
    »Richtig. Und willst du wissen, wie es ausgegangen ist?«
    Das wollte ich, und er sagte es mir. Unser Freund Macrì war aufgrund der Aussagen zweier Kronzeugen und mehrerer schriftlicher Beweisstücke im Kittchen gelandet. Dort verblieb er ein paar Monate, bis einer der Kronzeugen es bereute, bereut zu haben, und sämtliche Aussagen widerrief. Die Anklage fiel in sich zusammen, Macrì wurde wegen des letztlich festgestellten Mangels an Beweisen aus der Haft entlassen. Wenige Monate später beantragte er ein abgekürztes Verfahren und wurde freigesprochen.
    »Und wie ist er in Rom gelandet?«
    »Das weiß ich nicht. Fest steht nur, dass er nach seinem Freispruch aus der Anwaltskammer von Reggio Calabria ausgetreten ist und sich aus unbekannten Gründen in Rom niedergelassen hat. Wo ihn, wie gesagt, keiner kennt – zumindest im Justizpalast.«
    Er ließ den letzten Satz nachklingen, während er neuerlich sein Glas leerte.

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