Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Bedürfnis, allein zu sein.
Mir gingen da nämlich... ein paar Dinge durch den Kopf. Um es mal so auszudrücken.
In erster Linie fühlte ich mich beschissen wegen dem, was in der vergangenen Nacht vorgefallen war. Es war ja nicht so, dass ich unvorbereitet gewesen wäre oder keine klare Vorstellung davon gehabt hätte, was auf mich zukam. Nein, hätte ich auch nur einen Funken Anstand im Leib gehabt, dann hätte ich Natsu niemals mit nach Hause nehmen dürfen.
Ich überlegte mir, was ich gesagt hätte, wenn jemand anderes mir diese Geschichte erzählt und mich gefragt hätte, was ich davon hielt. Ich meine, was ich von einem Anwalt hielt, der mit der Frau eines inhaftierten Mandanten ins Bett ging.
Dieser Anwalt ist ein Stück Scheiße, hätte ich gesagt.
Ein Teil von mir suchte angestrengt nach Ausreden für das Vorgefallene; fand auch die eine oder andere, aber alles in allem gewann mein innerer Staatsanwalt diesen Prozess haushoch. Er gewann ihn so hoch, dass ich ihn gerne gefragt hätte, wo zum Teufel er gestern Abend gesteckt hatte, als ich ihn wirklich gebraucht hätte.
Ich erinnerte mich an eine Unterhaltung vor vielen Jahren. Nach einem Abendessen mit Kollegen. Wir hatten reichlich gegessen und getrunken. Einige von uns waren noch sehr jung, andere älter, Letztere waren die Anwälte, bei denen wir unser Referendariat gemacht hatten.
Ich weiß nicht mehr, wer die Geschichte erzählte. Eine wahre Geschichte, die ein paar Jahre zurückliege, meinte er.
Sie handelte von einem Mann, der unter Mordverdacht im Gefängnis saß. Ein nahezu hoffnungsloser Fall. Der Mann brauchte einen Anwalt. In Anbetracht seiner Lage sogar einen sehr guten Anwalt.
Er hatte aber nicht das Geld für einen guten Anwalt. Er hatte nicht einmal das Geld für einen schlechten Anwalt, aber er hatte eine sehr schöne Frau. Eines Abends präsentierte sich diese in der Kanzlei eines älteren, sehr guten Rechtsanwalts, der ein notorischer Schürzenjäger war. Sie sagte zu ihm, sie wolle ihn mit der Verteidigung ihres Mannes beauftragen, habe aber kein Geld, um ihn zu bezahlen. Und schlug eine Vergütung in natura vor. Der Anwalt war einverstanden, vögelte wiederholt mit der Frau – und zwar sowohl in als auch außerhalb der Kanzlei -, verteidigte ihren Mann und erwirkte einen Freispruch.
Ende der Geschichte und Beginn der Diskussion.
»Was hättet ihr an seiner Stelle getan?«
Unterschiedliche Antworten. Die einen fanden es schäbig, es mit der Frau im Büro getrieben zu haben. Mein Gott, so was konnte man doch eleganter lösen. Besser, er wäre ins Hotel oder sonst wohin mit ihr gegangen. Andere dagegen hielten es für absolut folgerichtig, sie auf dem Schreibtisch gevögelt zu haben, das entspreche der Natur ihres Abkommens. Irgendwer brachte schüchtern moralische Einwände vor und erntete damit schallendes Gelächter.
Der junge Guerrieri sagte, er hätte den Angeklagten gratis verteidigt, ohne Vergütung in natura, worauf einer aus der Runde meinte, er sei ein Idiot. Wir sprechen uns wieder, wenn dir mal so was passiert.
Tja, jetzt war es so weit.
Und dann dachte ich wieder an Macrì und an die Idee, die mir am Abend davor gekommen war. Eine Idee, wie ich die Information meines Freundes Colaianni vielleicht doch nutzen und einen Fluchttunnel für Paolicelli graben konnte.
Eine ganze Weile spielten meine Gedanken noch Pingpong – abwechselnd warf ich mir vor, ein Schwein zu sein, und grübelte dann wieder, was ich mit dem zwielichtigen Kollegen Macrì anstellen könne, um meinen ahnungslosen Mandanten zu retten -, aber letzten Endes siegte der Anwalt in mir.
Kurz, mir war die Idee gekommen, Macrì als Zeugen vorzuladen.
Eine verrückte Idee, denn man lädt Anwälte nicht als Zeugen vor, um sie über Dinge aussagen zu lassen, die ihr Verteidigermandat betreffen. Dem steht in vielen Fällen schon allein die anwaltliche Schweigepflicht entgegen; davon abgesehen gehört es sich einfach nicht. Punkt, Schluss.
Persönlich war mir dergleichen noch nie untergekommen. Ich wusste nicht einmal, ob die Tatsache, dass Macrì der Verteidiger des Angeklagten gewesen war, ein formales Hindernis darstellte, eine so genannte Inkompatibilität, sprich, ob er als Zeuge überhaupt zugelassen werden durfte.
Deshalb warf ich als Erstes einen Blick ins Gesetzbuch. Dort war keine Rede von Inkompatibilität im Hinblick auf den Verteidiger des Angeklagten; rein theoretisch war die Sache also machbar. Aber war sie es auch praktisch?
Es gibt
Weitere Kostenlose Bücher