Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Höflichkeiten aus. Die beiden Bodyguards standen wortlos auf und setzten sich an einen anderen Tisch in der Nähe der Eingangstür.
»Wie lange bist du jetzt schon in Rom?«
»Auf jeden Fall zu lang. Ich hab mittlerweile die Schnauze voll. Vor allem von der Arbeit bei der Antimafia-Behörde. Wir nehmen unentwegt Dealer und Pusher fest, geben Unsummen für Telefonüberwachungen aus, verhören ständig irgendwelche Kronzeugen oder Pseudo-Kronzeugen, ohne dass sich auch nur das Geringste ändert. Ich glaube, ich sollte mir einen anständigen Job suchen.«
Sieh einer an, dachte ich. Genau das hatte ich mir vor ein paar Tagen nach dem Besuch im Gefängnis auch gesagt. Das war also die Elite unserer Generation auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.
Ich sagte nichts davon laut und ließ ihn weiterreden. Sein anfänglich scherzhaftes Gebaren war plötzlich einer Bitterkeit gewichen, die ich nicht erwartet hatte, nicht von Andrea Colaianni.
Im Gegensatz zu mir hatte es für Andrea immer unumstößliche Gewissheiten gegeben, Dinge, für die er leidenschaftlich eintrat. So war er beispielsweise der Überzeugung gewesen, man könne vom Büro einer Staatsanwaltschaft aus die Welt verändern. Ganz so einfach ist das Leben aber nicht.
»Ich fühle mich in diesem Job immer unwohler. Weißt du noch, wie ich in der ersten Zeit, kurz nach Dienstantritt, war?«
Das wusste ich noch sehr gut. Wir hatten uns in dieser Zeit fast täglich gesehen. Mit fünfundzwanzig war er Staatsanwalt geworden und somit am Ziel seiner Träume angelangt. Ich dagegen war ein Jüngelchen gewesen mit nichts als Flausen im Kopf und war das auch noch geraume Zeit danach geblieben.
»Ich konnte es kaum erwarten, loszulegen. Meines Amtes zu walten. Ich war bereit, die Dinge zu ändern. Für Gerechtigkeit zu sorgen.«
Er sah mir in die Augen.
»Große Worte, was?«
»Wie heißt es noch mal in dem Lied von De Gregori? Du hast Gerechtigkeit gesucht und bist auf das Gesetz gestoßen .«
»Genau. Als ich anfing, kam ich mir vor wie ein Racheengel. Wenn ich heute jemanden festnehmen muss, wird mir jedes Mal schlecht, glaubst du mir das? Vor ein paar Tagen bin ich im Gericht einem Häftling begegnet, einem, der in Handschellen durch den Korridor geführt wurde. Der Mann war um die sechzig und sah aus wie ein... ich weiß nicht, ein Schreibwarenhändler oder Drogist. Ich hab Hunderte von Menschen in Handschellen gesehen. Menschen aller Art. Sie waren erschrocken, arrogant, verwirrt, andere völlig gleichgültig. Eigentlich müsste ich an den Anblick gewöhnt sein. Der Vollzugsbeamte ging voraus, der Mann in Handschellen hinterdrein. Irgendwann wurde er langsamer, vielleicht konnte er nicht mehr Schritt halten mit ihnen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat ihn der Beamte mit einem Ruck an der Kette weitergerissen, wie man einen Hund weiterreißt, der beim Gassigehen zu lange an etwas herumschnüffelt. Das Ganze spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab, der Mann holte den Wärter sofort wieder ein. Ich blieb im Korridor stehen und sah ihnen nach, als hätte ich einen Schlag in den Magen bekommen. Auch das hat nur einen Augenblick gedauert, dann ging ich weiter, bevor meine Leibwächter noch dachten, es gäbe ein Problem. Aber du verstehst vielleicht, wie mir zu Mute war.«
Ich verstand sehr gut, wie ihm zu Mute war. Colaianni machte eine Handbewegung, die ich in den letzten Wochen öfters gesehen hatte. Er fuhr sich mit der Hand kräftig übers Gesicht, so, als wolle er etwas Klebriges, Unangenehmes entfernen. Es gelang ihm nicht. Es gelingt keinem.
»Wenn ich könnte, würde ich den Beruf wechseln. Natürlich kann ich das nicht, und überhaupt ist mein Weg vorgezeichnet. Noch ein paar Jahre, dann kann ich mich zur Generalstaatsanwaltschaft versetzen lassen und mich endlich auf die faule Haut legen. Dann lerne ich Golf spielen, lege mir eine Geliebte zu – sagen wir, irgendeine junge Sekretärin? – und lebe lustig fort, bis Freund Hein mich holt.«
»Na, na, mach mal langsam. Was ist los mit dir?« Idiotische Frage. Ich wusste sehr gut, was mit ihm los war.
»Nichts. Die Midlife-Crisis wahrscheinlich. Hast du sie schon gehabt? Soll ja irgendwann vorbeigehen.«
Hatte ich sie schon gehabt? Ja, das hatte ich, und ich war mir nicht sicher, dass sie wirklich vorbeiging. Allerdings hatte ich Andrea gegenüber einen Vorteil. Ich hatte mich mein Leben lang deplaziert gefühlt und war daran gewöhnt. Aber jemanden, der immer gewusst hat, wo’s langgeht, warf sie
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