Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
mir aber. Ich möchte auch etwas verändern. Aber als Carabiniere kann man das nicht so einfach. Man bekommt sein Gehalt und hat keine festen Arbeitszeiten. Ich würde gern noch einmal auf die Uni gehen.«
»Noch einmal Ingenieurswesen?«
Er sah mich überrascht an.
»Sie haben ein gutes Gedächtnis. Aber nein, das ist es nicht. Diese Fächer würde ich nicht mehr schaffen, schon gar nicht in meiner Freizeit. Ich dachte an Geisteswissenschaften, Literatur, Philosophie. Aber vielleicht ist das nur eine Spinnerei. Wenn man die vierzig überschritten hat, fängt man unweigerlich an, sich lästige Fragen zu stellen. Über den Sinn dessen, was man macht, und vor allem über die Zeit, die vergeht und immer schneller zu vergehen scheint.«
»Vor einiger Zeit habe ich ein schönes Buch gelesen von einem holländischen Philosophen, wenn ich mich recht erinnere. Es hieß: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird und handelte von diesem Phänomen. Es war sehr interessant.«
»Ich kriege schon von dem Titel Panik. Es gibt Momente, in denen ich vollkommen das Gleichgewicht verliere und es mir vorkommt, als würde ich abstürzen. Kein angenehmes Gefühl.«
Ich wusste, was er meinte. Es war wirklich kein angenehmes Gefühl. Wir sagten einen Moment lang nichts, während unsere Worte im Raum hingen.
»Gut. Lassen wir die vergehende Zeit und meine Midlifecrisis. Sie sagten am Telefon, dass Sie sich mit Manuela Ferraros Verschwinden beschäftigen.«
»Ja. Wie ich Ihnen sagte, sind die Eltern zu mir gekommen, in Begleitung eines Kollegen, der nur Zivilrecht macht. Sie baten mich, die Akte im Hinblick auf noch ausstehende Ermittlungen durchzuforsten. Gestern Abend habe ich die Unterlagen studiert und gesehen, dass Sie sich um den Fall gekümmert haben.«
Er nickte, ohne etwas zu sagen. Also sprach ich weiter.
»Ich wüsste gern, was Sie über den Fall denken. Unabhängig von dem, was in den Ermittlungsberichten steht.«
Ich wollte ihn nicht gleich fragen, ob ihm noch weitere Untersuchungen in den Sinn kamen, die man anstellen könnte. Auch jemand, der so intelligent und selbstbewusst ist wie Navarra, hat seine Empfindlichkeiten. Ich dachte, am ehesten würde sich auf informeller Ebene etwas ergeben.
»Es ist immer schwer, ernsthafte Hypothesen über verschwundene Personen aufzustellen. Meiner Erfahrung nach – und ich glaube, sie entspricht der Statistik – ist die Wahrscheinlichkeit, dass die verschwundene Person nach so langer Zeit gefunden wird, sehr gering.«
Er hielt inne, als sei ihm etwas Wichtiges in den Sinn gekommen.
»Sicherlich wissen Sie, dass einer der größten Spezialisten auf diesem Gebiet Inspektor Tancredi ist? Er hat unglaublich viel Erfahrung mit verschwundenen Kindern und Jugendlichen. Ich glaube, Sie kennen ihn, oder?«
»Ja, wir sind sogar befreundet.«
»Also, wenn Sie mit Tancredi befreundet sind, sollten Sie unbedingt seine Meinung einholen. Ich bin auch nicht beleidigt. Wie auch immer, abgesehen von dem, was man offiziell dazu sagen kann, wollen Sie vermutlich wissen, ob ich etwas zu dem Fall sagen kann, was nicht in der Akte steht, oder irre ich mich?«
»Das wäre tatsächlich eine große Hilfe.«
Navarra presste die Lippen zusammen. Er kratzte sich den Nacken und wiegte den Kopf, wie um abzuwägen, ob er mir trauen und mir sagen konnte, was er wirklich dachte. Die Antwort fiel offensichtlich positiv aus.
»Wenn ich eine Menge Zeit für diesen Fall gehabt hätte, oder sagen wir, wenn ich meine ganze Zeit dieser Sache hätte widmen können, hätte ich das Leben des Mädchens in Rom genauer untersucht. Ich hatte den Eindruck, dass die beiden Freundinnen – Abbrescia und Pontrandolfi – nicht alles sagten, was sie wussten, dass sie etwas verschwiegen, aber was, weiß ich nicht. Natürlich war meine erste Spur Cantalupi, Manuelas Freund. Er ist ein wohlbehüteter junger Mann, ein arroganter, verwöhnter Schönling, bei dem es einen in den Fingern juckt. Aber aus den Auflistungen seiner Telefonate geht hervor, dass er tatsächlich in Kroatien war, als Manuela verschwand, und erst vier, fünf Tage später zurückkam. Außer durch Beamen hätte er nicht mit dem Mädchen in Kontakt treten können, als sie verschwand.«
»Tatsächlich sind diese Gesprächslisten der einzige Nachweis dafür, dass Cantalupi in Kroatien war.«
Er lächelte mich an.
»Ich wollte mich auch nicht von dem Gedanken trennen, dass dieser Kerl etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun hatte. Und
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