Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
orientiert waren, mehr oder weniger radical chic .
    »An jenem Sonntagnachmittag wollte ich nach Ostuni fahren, um eine Freundin zu treffen, und Manuela fragte mich, ob ich sie mitnehmen könnte. Sie musste nach Bari zurück, und die Leute, mit denen sie gekommen war, wollten den Abend über noch bleiben.«
    »Erinnern Sie sich daran, mit wem Manuela gekommen war?«
    »Ich kann mich an die Gesichter erinnern, aber nicht an die Namen.«
    Die Namen der jungen Leute standen in der Akte. Ihre Aussagen waren jedoch so unergiebig, dass ich sie nicht einmal in die Liste derjenigen aufgenommen hatte, die ich noch einmal befragen wollte.
    »Bevor Sie mir die Autofahrt an jenem Sonntagnachmittag schildern, wollte ich Sie noch bitten, mir ein wenig von dem Tagesablauf in den Trulli zu erzählen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Was dort so los war. Leute, die ankommen, Leute, die abfahren, ob Ihnen irgendjemand aufgefallen ist, etwa jemand, mit dem sich Manuela unterhalten hat. Womöglich gab es jemanden, der zu viel getrunken hat oder der sich eine Tüte gedreht hat.«
    Ich sprach diesen Satz mit einer gewissen Befangenheit aus. Ich sagte »eine Tüte drehen«, weil ich annahm, dass Ausdrücke wie »Genuss von Betäubungsmitteln« unsere Unterhaltung unter Umständen ins Stocken gebracht hätten. Aber ich merkte, dass ich mich wie ein älterer Herr ausdrückte, der ungeschickt versucht, die Sprache der Jugendlichen zu imitieren, und das war mir unangenehm. Wie auch immer, ich hatte den Eindruck, einen kurzen Moment des Ausweichens in Anitas Blick zu erkennen, ein Abbrechen des Blickkontakts, so als hätte die Frage nach dem Gras an ein Problem gerührt. Aber das dauerte nur einen Augenblick, und ich sagte mir, dass es wahrscheinlich keine Bedeutung hatte.
    In den Trulli begann der Tag erst spät, bis auf eine kleine Gruppe, die früh aufstand, Tai Chi machte und an den Strand ging, solange er noch menschenleer war. Gegen ein Uhr gab es Frühstück, bei dem Kaffee und Cappuccino zusammen mit den ersten alkoholischen Getränken eingenommen wurden – Spritz und Negroni, erläuterte sie mir, als ob das von Bedeutung wäre. Dann wurden Spaghetti gekocht, alle möglichen Getränke ausgeschenkt, es gab Musik, Leute, die ankamen, und Leute, die abfuhren. Den Nachmittag verbrachte man dann am Strand, vor dem Sonnenuntergang fand eine Art Happy Hour mit Musik und weiteren Spritz und Negroni statt, und dann ging es zurück zu den Trulli oder man fuhr irgendwo in die Nähe zum Abendessen: nach Cisternino, Martina Franca, Alberobello, Locorotondo, Ceglie oder eben nach Ostuni.
    Das waren Riten, die ich gut kannte, denn ich selbst hatte sie bis vor ein paar Jahren intensiv betrieben. Und doch erschienen sie mir jetzt, wo ein zwanzigjähriges Mädchen mir davon erzählte, unendlich weit weg. Das war kein angenehmes Gefühl.
    »Sie sagten, dass Sie öfter dort zu Gast waren.«
    »Ja.«
    »Ist Ihnen an jenem Wochenende irgendjemand aufgefallen? Oder gab es etwas, was anders war als sonst?«
    »Nein, ich glaube nicht. Es waren ein paar Engländer da, aber es ist nichts anderes vorgefallen als sonst.«
    »Es kam sicherlich mal vor, dass jemand einen Joint rauchte, oder?«
    Wie vorhergesehen (und wie schon vorher geschehen), brachte die Erwähnung von Joints sie in Verlegenheit.
    »Ich weiß nicht … das könnte schon sein, aber …«
    »Verzeihen Sie, Anita. Ich möchte etwas klarstellen, bevor wir weitermachen, etwas sehr Wichtiges. Ich bin kein Polizist und kein Staatsanwalt.«
    Ich machte eine Pause, um sicherzugehen, dass sie mir folgte.
    »Das bedeutet, dass es nicht meine Aufgabe ist, Straftaten aufzudecken und zu ermitteln, wer der Täter ist. Es ist mir vollkommen egal, ob in den Trulli oder sonst wo Joints geraucht wurden, ob jemand betrunken war oder sonst etwas genommen hat. Oder besser gesagt, diese Informationen interessieren mich nur unter dem Aspekt, ob sie mir bei der Aufklärung von Manuelas Verschwinden weiterhelfen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Unser Gespräch ist und bleibt streng vertraulich. Außerdem gibt es wahrscheinlich gar keine Verbindung zwischen der Tatsache, dass dort etwas Gras geraucht wurde, und Manuelas Verschwinden. Ich taste mich einfach nur vorwärts bei diesem Auftrag, und jeder noch so kleine Bruchteil einer Information könnte theoretisch nützlich sein. Aber das weiß ich erst, wenn ich dieses Fragment in der Hand habe und begutachten kann. Habe ich mich deutlich genug

Weitere Kostenlose Bücher