Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Telefonprotokolle, und deshalb war es vollkommen überflüssig, diesbezügliche Erinnerungsfragmente der Salvemini auszugraben. Vollkommen überflüssig. Alle Telefonkontakte von Manuela von jenem Nachmittag waren in den Protokollen verzeichnet.
»In Ordnung. Sie sagten, Sie hätten nicht viel gesprochen. Aber was haben Sie denn so geredet?«
»Nichts Wichtiges. Was studierst du, was hast du diesen Sommer gemacht. Solche Dinge, aber sicherlich nichts, was irgendwie von Bedeutung wäre.«
»Wie lange haben Sie gebraucht bis zum Bahnhof von Ostuni?«
»Etwa zwanzig Minuten. Sonntags um die Zeit sind alle noch am Strand, deshalb ist wenig Verkehr.«
»Hat Manuela irgendwie besonders gewirkt?«
Anita antwortete nicht sofort. Sie machte dieselbe Geste wie vorher – die mir jetzt wie ein Tick vorkam –, indem sie sich die Augenbraue kratzte und sie mit dem Mittelfinger wieder glattstrich.
»Besonders gewirkt. Nicht dass ich wüsste. Vielleicht schien sie mir … wie soll ich sagen, ein bisschen nervös.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie im Auto Anzeichen von Nervosität zeigte?«
»Nein, das trifft es nicht ganz. Sowohl am Abend vorher als auch am Morgen danach, als wir uns verabredeten, aber auch im Auto machte sie einen Eindruck, als ob …. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Sie war einfach nervös, ich finde kein anderes Wort dafür.«
»Hatten Sie das Gefühl, dass sie sich Sorgen machte?«
»Nein, nein. Sorgen schien sie sich nicht zu machen. Sie wirkte einfach nicht ruhig.«
»Können Sie mir irgendeine besondere Geste nennen, die diesen Eindruck auslöste?«
Noch eine Bedenkpause.
»Nein. Eine besondere Geste fällt mir nicht ein. Sie wirkte etwas, wie soll ich sagen … etwas beschleunigt.«
Ich ließ mir ein paar Sekunden Zeit, um diese Information zu verdauen.
»Wie haben Sie sich verabschiedet?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine, wollten Sie sich wiedersehen, haben Sie sich irgendwie verabredet? Was weiß ich, Telefonnummern ausgetauscht?«
»Nein, wir haben uns einfach verabschiedet. Danke, tschüss und so weiter. Telefonnummern haben wir nicht ausgetauscht.«
»Wann haben Sie erfahren, dass Manuela vermisst wurde?«
»Ein paar Tage später, als die Carabinieri mich in die Kaserne bestellt haben.«
Mir fielen beim besten Willen keine Fragen mehr ein. Die Tatsache, dass in den Trulli Drogen im Umlauf waren, hatte Hoffnungen in mir geweckt, auch weil die Carabinieri es nicht erwähnt hatten. In Wirklichkeit war außer diesem Detail, das für meine Zwecke vollkommen nebensächlich war, nichts anderes ans Licht gekommen. Und das war natürlich frustrierend. Es kam mir vor, als wollte ich an einer spiegelglatten Fläche hochklettern.
Ich machte einen letzten Versuch.
»Haben Sie auf der Fahrt irgendwie darüber gesprochen, dass in den Trulli Stoff im Umlauf war, wie Sie mir vorhin angedeutet haben?«
»Nein, absolut nicht.«
»Und Sie wissen nicht, ob Manuela etwas genommen hat.«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich das nicht weiß.«
Jetzt gab es wirklich nichts mehr zu sagen. Der Moment, sich zu verabschieden, war gekommen, und da fiel mir plötzlich Navarras Ratschlag ein. Ich nahm eine Visitenkarte aus der Schublade und schrieb mit der Hand meine Handynummer darauf. Ich gab sie ihr.
»Es könnte sein, ja, es ist sogar wahrscheinlich, dass Ihnen noch etwas einfällt. Ein Detail, eine Kleinigkeit, die Sie vergessen haben zu erzählen. Das ist völlig normal. Falls das passiert, rufen Sie mich bitte an. In der Kanzlei oder auf dem Handy. Rufen Sie mich auch an, wenn es ein Detail ist, das Sie für unwichtig halten. Manchmal sind es gerade die vermeintlich unwichtigen Details, die zur Aufklärung führen.«
Wir standen auf, und sie blieb noch einen Moment vor dem Schreibtisch stehen. Als wollte sie noch etwas hinzufügen, wofür sie keine Worte fand oder was sie einfach nur verlegen machte.
»Machen Sie sich keine Sorgen über das, was Sie mir gesagt haben. Es bleibt alles unter uns. Es ist, als hätten Sie mir nichts gesagt.«
Ihr Gesichtsausdruck entspannte sich. Sie deutete ein Lächeln an und sagte, sie würde sich sicherlich melden, wenn ihr noch ein Detail einfiele.
Ich schüttelte ihr die Hand, dankte ihr und brachte sie zur Tür.
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D ie nächste musste die Pontrandolfi sein. Falls sie pünktlich war, musste sie innerhalb der nächsten fünf Minuten da sein. Mit ihrer Hilfe würde ich versuchen zu verstehen, was für eine Art Mensch Manuela war.
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