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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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fragte der Richter.
    »Danke, Herr Richter, nur ein paar wenige Fragen, denn, wie Sie wissen, ist der springende Punkt bei diesem Prozess nicht so sehr in den Fakten zu finden wie in der Rechtsauffassung.« Ich machte eine Pause und glaubte eine fast unmerkliche Geste der Zustimmung von Seiten des Richters wahrzunehmen. Das war zwar nicht immer gut, aber diesmal war der Richter ein gut vorbereiteter und intelligenter Mann, so dass ich das Kopfnicken als gutes Vorzeichen wertete.
    »Herr Costantino, wir sind uns einig, dass Sie das Gas aufgedreht haben, weil Sie vorhatten, Selbstmord zu begehen. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Ich möchte Sie stattdessen fragen: In dem Moment, als Sie das Gas aufdrehten, hatten Sie da vor, noch jemand anderen umzubringen?«
    »Natürlich nicht.«
    »In dem Moment, in dem Sie das Gas aufgedreht haben, haben Sie sich da vorgestellt, dass das Gas auch den Tod anderer Menschen außer Ihnen auslösen könnte?«
    »Nein, ich wollte nur einschlafen und Schluss machen. Ich habe schon gesagt, dass ich außer mir war, ich stand unter dem Einfluss von Medikamenten …«
    »Meinen Sie damit, dass Sie Psychopharmaka nahmen?«
    »Ja, Medikamente gegen Depressionen.«
    »Sie haben gesagt, Sie hätten erst später über die möglichen Konsequenzen Ihres Handelns nachgedacht. Ist das richtig?«
    »Ja, viele Tage später, als es mir langsam besser ging. Im Gefängnis.«
    »Danke, ich habe keine weiteren Fragen.«
    »Gut. Wenn es keine anderen Anträge gibt, können wir jetzt die Plädoyers hören.«
    Der Staatsanwalt erhob sich und trug erneut seine supermoderne Interpretation des Tatbestands des strafbaren Anschlags vor. Diese Straftat setzt eine Tötungsabsicht voraus, ohne jedoch genau zu definieren, wer das Ziel dieser Absicht ist. Costantino hatte im Moment der Tat die Absicht, sich selbst zu töten, und hatte indirekt den Tod anderer Menschen in Kauf genommen. Das reichte aus, um ihn der Tat anzuklagen und zu verurteilen. Wegen Durchführung eines strafbaren Anschlags.
    Dann kam ich dran.
    »Gestatten Sie, Herr Richter, dass ich mich nicht auf die wenigen Worte beschränke, die normalerweise bei einer Vorverhandlung dem rituellen, oft überflüssigen Antrag auf Freispruch gewidmet werden. Dieser Fall ist nämlich für mich einer, in dem ein Freispruch von Anfang an möglich ist, ohne dass wir jahrelang auf einen Prozess am Obersten Gerichtshof warten müssen. Ehrlich gesagt ist allein schon die Vorstellung, dass man wegen des Austretens von Gas vor den Obersten Gerichtshof geht, und sei dieser Vorgang auch absichtlich herbeigeführt, eine paradoxe, wenn nicht gar lächerliche Angelegenheit.«
    Der Richter griff zu Papier und Stift und schrieb etwas auf. Ich registrierte das geistig, dachte mir, es könne ein gutes Zeichen sein, auch wenn Richter unberechenbare Wesen sind, und fuhr fort.
    »Es besteht kein Zweifel, dass dieser Prozess auf dem Terrain der Auslegung des Strafgesetzbuchs geführt werden muss, da der Tatbestand an sich in seiner banalen Einfachheit keine Probleme aufweist: Ein unglücklicher, depressiver Junge versucht, sich umzubringen, die Carabinieri greifen ein, sie retten den Jungen und verhindern eine potenzielle Tragödie. Die Frage, die dieser Prozess beantworten soll, lautet nun: Entspricht das Verhalten dieses Jungen der Vorbereitung eines strafbaren Anschlags? Ein Verbrechen, wenn ich daran erinnern darf, das mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünfzehn Jahren bestraft wird.«
    Ich sprach noch etwa zehn Minuten, während derer ich versuchte, einen ganz elementaren Sachverhalt zu erklären: Die Absicht eines Anschlags besteht – auch wenn keiner zu Schaden kommt – nur dann, wenn der Angeklagte mit der Absicht gehandelt hat, eine unbestimmte Anzahl von Personen zu töten. Es handelt sich immerhin um ein Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Ganz banal gesagt: Wenn einer sich selbst umbringen will, will er keinen Anschlag verüben. Und wenn dann keiner stirbt, gibt es auch keine Straftat.
    Ich merkte, dass ich Schwierigkeiten hatte, eine so offensichtliche Sache zu erklären. Die vielleicht zu offensichtlich war, um sie wirksam darzustellen. Am Ende meiner Rede war ich nicht zufrieden mit mir und war sicher, dass der Richter meinen Mandanten verurteilen würde.
    Doch dieser schrieb nur kurz etwas auf, erhob sich und las laut vor: Der Prozess gegen Nicola Costantino sei hinfällig, da die ihm vorgeworfene Tat keine Straftat sei. Der

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