Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Angeklagte solle sofort freigelassen werden, falls keine anderen Anklagen gegen ihn vorlagen.
Damit war die Verhandlung abrupt zu Ende, und der Richter war bereits in einem Nebenzimmer verschwunden, als ich zu dem Jungen ging, um ihm zu sagen, dass er freigesprochen war und in ein paar Stunden – so lange dauerten die Formalitäten – in die Freiheit zurückkehren konnte.
»Gratuliere. Ich war sicher, dass er sich für einen Prozess entscheiden würde, um nicht die ganze Verantwortung auf sich zu laden und die Urteilsbegründung schreiben zu müssen«, sagte Consuelo, als wir den Saal verließen.
»Ich habe auch nicht wirklich an einen Freispruch geglaubt.«
»Und jetzt?«
»Was jetzt?«
»Werden die Eltern eher erleichtert sein, dass Nicola freigesprochen wurde, oder besorgt, dass er sich zu Hause etwas antun könnte?«
Das fragte ich mich auch gerade. Und natürlich hatte ich keine Antwort.
13
I ch hatte mich von Consuelo verabschiedet und wollte gerade in ein Weinlokal gehen, um eine Kleinigkeit zu essen, als mich Fornelli anrief. Er sagte, er habe mit Manuelas Mutter gesprochen, die wiederum mit den beiden Freundinnen und dem Ex-Freund gesprochen hatte. Mit Hilfe anderer Freundinnen Manuelas hatten sie auch die Salvemini gefunden, das Mädchen, das Manuela zum Bahnhof von Ostuni gebracht hatte. Sie hatte allen gesagt, dass wir versuchten herauszufinden, was mit ihrer Tochter passiert war, und hatte sie gebeten, sich mit mir zu treffen. Alle hatten eingewilligt, außer der Abbrescia.
»Warum denn die Abbrescia nicht?«
Kurzes Zögern am anderen Ende der Leitung.
»Sie sagte Manuelas Mutter, dass sie in Rom sei. Sie sei in der nächsten Zeit sehr mit ihren Prüfungen beschäftigt und wisse nicht, wann sie nach Bari zurückkehren würde.«
Nach weiterem Zögern fügte Fornelli hinzu: »Um ehrlich zu sein, hatte Frau Ferraro den Eindruck, dass es dem Mädchen unangenehm war, dass sie nicht angerufen werden und noch weniger mit dir sprechen wollte. Mit einem Anwalt im Allgemeinen.«
»Kannst du mir ihre Telefonnummer besorgen?«
»Natürlich. Die anderen haben jedenfalls alle gesagt, sie würden in deine Kanzlei kommen. Auch heute noch, falls dir das recht ist.«
Ich bat ihn zu warten, warf einen kurzen Blick in den Terminkalender, den ich in meiner Aktenmappe hatte, und sah, dass ich nur zwei Termine am frühen Nachmittag hatte.
»Geht in Ordnung. Es sind drei, also lassen wir sie doch jeweils zur vollen Stunde kommen. Sagen wir: um sechs, um sieben und um acht. Auf diese Weise habe ich Zeit, mich mit jedem in Ruhe zu unterhalten. Könntest du es übernehmen, sie anzurufen und die Termine zu vereinbaren?«
»Aber ja doch, das besorge ich. Wenn du innerhalb der nächsten Stunde nichts von mir hörst, bedeutet das, dass alles geklappt hat.«
Die Erste, die kurz nach sechs kam, war die Salvemini.
Ein kleines, gedrungenes Mädchen mit Cargohosen und einer braunen Lederjacke. Sie hatte ein rundliches, aber energisches Gesicht, einen männlichen Händedruck und machte einen vertrauenswürdigen Eindruck.
»Zunächst einmal möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie gekommen sind. Ich glaube, Frau Ferraro hat Ihnen bereits angedeutet, warum ich mit Ihnen sprechen wollte.«
»Ja, sie sagte, Sie würden so etwas wie Ermittlungen anstellen wegen Manuelas Verschwinden.«
Noch bevor ich eingreifen konnte, hatte mich ein Gefühl von idiotischer Eitelkeit erfasst. Wenn ich so etwas wie Ermittlungen anstellte, bedeutete das, dass ich so etwas wie ein Detektiv war.
Oder, rationaler ausgedrückt – dachte ich, nachdem ich wieder die Kontrolle über mich erlangt hatte –, so etwas wie ein Hornochse.
»Sagen wir, dass wir die Akten der Carabinieri noch einmal durcharbeiten, um zu sehen, ob ihnen vielleicht irgendein Detail entgangen ist, das zur Aufklärung von Manuelas Verschwinden beitragen könnte.«
»Aber Sie sind doch Anwalt?«
»Ja, ich bin Anwalt.«
»Ich dachte nicht, dass Anwälte … ich meine, dass Anwälte so etwas tun. Ich meine, ist das nicht etwas für Detektive?«
»Ja und nein, kommt drauf an. Was studieren Sie, Anita?«
»Ich mache gerade mein Examen in Kommunikationswissenschaften.«
»Ach, wollen Sie Journalistin werden?«
»Nein, ich wäre gern Buchhändlerin, auch wenn das nicht so leicht ist. Ich denke, ich werde noch einen Master machen und dann ein paar Jahre lang in einer Filiale einer großen Kette arbeiten. Vielleicht auch im Ausland. Bei Barnes and Noble oder Borders oder
Weitere Kostenlose Bücher