Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Spielzeugsoldaten, die Rossana-Bonbons, die Super-Acht-Filme, die Dia-Abende, die Geburtstage mit salzigen Kuchen und Obstsaft, die Polaroids, die Rollschuhbahn in der Pineta, die Werbespots von Carosello , der Nudelauflauf bei meinen Großeltern am Wochenende.
Das Licht, das abends durch die angelehnte Zimmertür drang, die schwächer werdenden Geräusche aus den anderen Zimmern und zuletzt, wie immer, die leisen Schritte meiner Mutter, während ich einschlief.
18
D ie Straße glänzte im Regen.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber sicher schon eine ganze Weile, denn irgendwann fragte sie mich mit einer Spur Besorgnis in der Stimme, ob alles in Ordnung sei.
»Ja, doch. Habe ich denn irgendetwas Seltsames getan?«
»Seltsam? Es war wie eine Szene aus Der Exorzist . Deine Lippen bewegten sich, dein Gesichtsausdruck veränderte sich, es war, als würdest du mit jemandem sprechen, allerdings ohne einen Ton von dir zu geben.«
Sie sah mich ein paar Augenblicke lang an, bevor sie weitersprach.
»Du bist doch nicht etwa verrückt?«
Sie lächelte zwar, als sie das sagte, aber ich hätte schwören können, dass sie einen leichten Zweifel hegte.
»War es wirklich so, als würde ich mit jemandem sprechen?«
»Mhm«, nickte sie heftig.
»Als dein Hund den Kopf gehoben hat, um sich am Hals streicheln zu lassen, hat er genau dieselbe Geste gemacht wie der Schäferhund meines Großvaters vor vielen Jahren.«
»Ich muss schon sagen, dass er sich zwar manchmal streicheln lässt, aber nie an der Kehle. Du bist ihm offensichtlich sympathisch, das macht er sonst nämlich nicht.«
»Diese Geste hat mich mit einem Mal an lauter Dinge aus meiner Kindheit erinnert. Einige sind mir gerade zum ersten Mal seit dreißig Jahren wieder eingefallen. Es wundert mich nicht, dass du sagst, ich hätte mit mir selbst gesprochen.«
Wir gingen weiter, in derselben Formation wie vorher: Nadia in der Mitte, Pino-Baskerville links von ihr, ich rechts von ihr. Die Luft roch nach nassem Asphalt.
»Ich erinnere mich an beinahe nichts aus meiner Kindheit. Ich glaube, dass ich weder glücklich noch unglücklich war, aber das sage ich nur, weil ich mich weder an besonders glückliche noch an besonders unglückliche Momente erinnere. Wenn es sie gab, dann habe ich sie vergessen, die einen wie die anderen. Es ist nicht leicht zu erklären, aber es gibt Dinge, von denen ich weiß, dass sie passiert sind, und von denen ich deshalb sage, dass ich mich daran erinnere. Tatsache ist, dass ich mich an nichts erinnere. Es ist, als wüsste ich über das, was in jenem Abschnitt meines Lebens passiert ist, nur deshalb Bescheid, weil mir jemand davon erzählt hat. Ich habe das Gefühl, mich an die Kindheit von jemand anderem zu erinnern«, sagte Nadia.
»Ich weiß, was du meinst. So ähnlich, wie wenn du dich fragst, ob etwas wirklich passiert ist oder ob du es nur geträumt hast.«
»Genau das meine ich. Ich glaube, dass meine Mutter ein paar Mal eine Geburtstagsfeier für mich organisiert hat, aber wenn du mich fragst, was auf diesen Festen passiert ist und wer dabei war, könnte ich dir das nicht beantworten. Manchmal verursacht mir das eine Art Schwindelgefühl, es ist kaum zu ertragen.«
»Gibt es denn einen Zeitraum, an den du dich besser erinnern kannst?«
»Ja. Ich weiß nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, aber ich erinnere mich noch ganz genau daran, wie ich anfing, auf den Strich zu gehen.«
»Wann war das?«, fragte ich und versuchte meiner Stimme einen möglichst sachlichen Ton zu geben. Sie ging nicht auf die Frage ein.
»Weißt du, die Erklärung für meine so genannten Entscheidungen hat nichts Dramatisches an sich. Sie ist ziemlich banal und auch ein wenig erbärmlich.«
Ich machte eine Geste, wie um etwas zu verscheuchen. Es war eine spontane und kaum merkliche Bewegung, aber sie bemerkte sie sehr wohl.
»Gut, lassen wir die Adjektive weg. Ich wollte damit sagen, dass es keine Personen oder Ereignisse gibt, die ich für mein Schicksal verantwortlich machen könnte. Die Familie etwa.«
»Was machen deine Eltern oder haben sie gemacht?«
»Mein Vater war Sekretär in einer Realschule, und meine Mutter war Hausfrau. Sie leben nicht mehr. Ich kann nicht sagen, dass unser Familienleben wunderbar gewesen wäre. Aber es war auch nicht schlechter als das von vielen anderen Frauen, die nicht auf den Strich gegangen sind. Ich habe eine Schwester, die wesentlich älter ist als ich. Sie lebt in Bologna, ich habe sie
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