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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Theater, viele wollten sich auch unterhalten. Mit der Zeit wurde mir klar, dass diese Aspekte für viele von ihnen genauso wichtig waren wie der Sex. Huren sagen oft, dass die meisten Männer nur eine Frau suchen, mit der sie in Ruhe vögeln und in Ruhe reden können. Ohne für das eine oder das andere einem Urteil ausgesetzt zu sein. Meine Erfahrung bestätigt mir, dass das stimmt. Und genau in diesen Fällen gab es manchmal Probleme.«
    »Welcher Art?«
    »Manchmal verwechselten die Kunden die Wirklichkeit mit der Fiktion, anders ausgedrückt, sie verliebten sich in mich. In diesen Fällen brach ich die Verbindung sofort ab. Das erschien mir richtig, ethisch gesehen. Okay, ich weiß, dass es merkwürdig ist, wenn eine Hure von Ethik spricht, aber ich glaube, dass sich jeder von uns an Regeln klammert, um nicht zu zerbröckeln, in jedem Beruf. Wie auch immer, auch ohne Ethik, war es sicherlich vernünftig, solche Beziehungen abzubrechen. Man weiß ja nie, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Eine Freundin von mir wurde von einem Kunden, der sich in sie verliebt hatte, verfolgt und beinahe umgebracht.«
    »Natürlich bist du von zu Hause ausgezogen, oder?«
    »Natürlich. Um meine Ausgaben und meine Unabhängigkeit zu rechtfertigen, erzählte ich, ich hätte eine Anstellung als Handlungsreisende in der Modebranche gefunden. Ich habe keine Ahnung, ob sie mir geglaubt haben oder ob meine Mutter und mein Vater jemals erfahren oder geahnt haben, was ich tat. Als ich verhaftet wurde und die Sache an die Öffentlichkeit kam, waren beide bereits tot.«
    »Erzähl weiter!«
    »Was danach kommt, ist nicht besonders interessant, vorausgesetzt, der Anfang war interessant für dich. Und ich erinnere mich auch nur sehr viel ungenauer und wirrer daran. Ich habe in ein paar Filmen mitgemacht, aber nicht lange. Als Prostituierte verdient man sehr viel besser. Danach begann ich, andere Mädchen zu vermitteln, und damit verdiente ich noch mehr. Als sie mich festnahmen, hatte ich mich schon seit längerer Zeit nicht mehr prostituiert. Aber diesen Teil der Geschichte kennst du ja sowieso, du warst ja mein Anwalt.«
    Sie schien fertig zu sein, und ich wollte gerade etwas sagen, als sie noch einmal anfing, als habe sie ein wichtiges Detail vergessen.
    »Es gibt allerdings noch etwas, was ich dir damals nicht gesagt habe, als ich deine Mandantin war.«
    »Und was war das?«
    »Als sie mich festnahmen, war ich beinahe erleichtert. Ich glaube, ich ertrug dieses Leben selbst nicht mehr, auch weil die Situation sich verschlimmert hatte, seit ich die Mädchen vermittelte. Solange ich mich selbst prostituierte, war es mir leichtgefallen, mein Gleichgewicht zu wahren. Aber in dem Moment, in dem ich die Arbeit der anderen Mädchen organisierte, wurde mir der demütigende Aspekt der Sache bewusst. Vermutlich war ich mir selbst nicht im Klaren darüber – zumindest kann ich mich daran nicht erinnern –, aber ich suchte nach einem Ausweg, auch wenn das alles andere als leicht war. Meine Arbeit war sehr einträglich, und ich hatte keine andere.«
    Wir waren weit gegangen, erst die Uferpromenade entlang und durch die Straßen hinter dem Teatro Petruzzelli. Es gelang mir nicht, Nadias Erzählung zu entschlüsseln. Die emotionale Schwingung entzog sich mir. Sie hatte alles ganz nüchtern erzählt, aber es war klar, dass etwas unter der Oberfläche brodelte. Was das war, war nicht zu erkennen. Pino lief weiterhin neben dem Bein seiner Besitzerin her, und ich dachte, dass ich auch gern einen so diskreten und stillen Begleiter für meine nächtlichen Spaziergänge gehabt hätte. Bis zu diesem Moment hatte ich mir nie einen Hund gewünscht, aber jetzt gefiel mir die Vorstellung sehr.
    Mein Gedankenstrom wurde von Nadias Stimme unterbrochen. Jetzt klang ihre Stimme etwas anders als vorher, als sie ihre Geschichte erzählte.
    »Darf ich dir etwas Frivoles erzählen?«
    »Ich mag Frivoles.«
    »Als sie mich festnahmen, fragte ich einen Freund – keinen Kunden – um Rat, an welchen Anwalt ich mich wenden sollte. Er nannte deinen Namen. Er sagte, du seist ein guter Anwalt und ein anständiger Mensch, und diese Beschreibung ließ mich an einen älteren Herrn mit schütterem Haar und Bauchansatz denken. So etwas wie einen Onkel. Und dann kamst du zu mir ins Gefängnis.«
    »Dann kam ich zu dir ins Gefängnis, und weiter?« Manchmal bin ich gut darin, mich dumm zu stellen.
    »Nun ja, du bist nicht gerade ältlich, kahl oder übergewichtig. Auch wenn du ein

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