Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
essen zu gehen. Danach wollte Caterina Nicoletta anrufen und ein Treffen vereinbaren.
Das Zimmer war gemütlich und ging auf einen Innenhof, wo man den frischen, leuchtenden Vorfrühling spüren konnte. Während ich mich auszog, um zu duschen, wurde mir klar, dass ich schon seit mehreren Jahren nicht mehr mit einer Frau in einem Hotel gewesen war. Die letzte Frau war Margherita gewesen.
Etwas in mir protestierte. Das waren zwei Situationen, die man nicht miteinander vergleichen konnte: Margherita war meine Freundin gewesen, wir machten Ferien und hatten natürlich ein Doppelzimmer; mit Caterina hingegen war ich aus beruflichen Gründen nach Rom gekommen, sie war ein junges Mädchen, und wir schliefen selbstverständlich in getrennten Zimmern.
Dieses Argument war unschlagbar und sehr rational, weshalb ich es ignorierte. Das ist meine Spezialität: das Ignorieren von rationalen Argumenten, solange es um meine persönlichen Angelegenheiten geht.
Es war drei Jahre her, dass ich das letzte Mal mit Margherita in einem Hotel gewesen war. Wir hatten eine Reise nach Berlin gemacht, mit zweien ihrer Freunde. Berlin hatte mir unglaublich gut gefallen, und ich hatte mir gedacht, dass ich gern in dieser Stadt leben würde – allerdings nur, wenn es keinen Winter gäbe. Ich hatte sogar Lust bekommen, Deutsch zu lernen. Kurz und gut, ich war so begeistert zurückgekommen, wie es mir selten nach einem Urlaub passiert war.
Ein paar Wochen später verkündete Margherita, sie habe ein Angebot für eine Stelle in New York angenommen. Eine Entscheidung, die sie wochenlang mit sich herumgetragen hatte, auch während unserer Berlinreise. Der unwissende, törichte Guido Guerrieri hatte nichts davon geahnt. Ich war in Berlin gewesen, glücklich wie ein Narr, während sie in Gedanken schon in New York war, in einem neuen Leben, in dem ich nicht vorgesehen war.
Ein paar Wochen später reiste sie ab, mit dem Plan, nach einem Jahr zurückzukommen. Das hatte ich keine Sekunde lang geglaubt, und in der Tat war sie auch nicht zurückgekommen. Zumindest nicht, um zu bleiben.
Ich schloss die Augen und vor mir erschien wie in einem Kino der Erinnerung ihre schlanke, muskulöse Gestalt in weißer Unterwäsche, im Halbdunkel jenes Berliner Hotelzimmers in der Oranienburger Straße. Dieses Bild war tragisch und zugleich vollkommen harmonisch. Es drückte die Perfektion jenes Moments aus und die nachträgliche Gewissheit, dass dieser Zustand nicht von Dauer war.
Ich fragte mich, wo Margherita jetzt wohl sein mochte. Seit langer Zeit schon hatte ich mir diese Frage nicht mehr gestellt. Was hatte ich erlebt in den Jahren, seit sie weggegangen war? Ich erinnerte mich an beinahe nichts, abgesehen von meiner Begegnung mit Natsu und einer Reihe von Alltagsritualen. Der Ausblick auf diese Leere ließ mich schwindlig werden, wie wenn man sich über einen Abgrund beugt.
Ich dachte an den Brief, den Margherita mir aus New York geschrieben hatte und in dem sie mir mitteilte, dass sie nicht zurückkommen würde. Es war ein freundlicher Brief, aus dem ersichtlich war, dass sie mich nicht verletzen und den Abschied so wenig schmerzlich wie möglich machen wollte. Und aus genau diesem Grund war er unerträglich, dachte ich, als ich ihn zum dritten oder vierten Mal las und schließlich zerknüllte und wegwarf.
Der Gedanke an Margheritas Brief löste einen rasanten Absturz aus, der durch steile, karge Hänge führte. Die Umgebung bevölkerte sich jedoch, während ich durch eine immer fernere Vergangenheit purzelte. Am Ende befand ich mich auf dem Grund dieser Schlucht.
Es waren die späten Siebzigerjahre. Die Dinge waren in Veränderung, es begann die so genannte Rückkehr ins Private. Jemand schrieb an den Corriere della sera , dass er sich aus Liebeskummer das Leben nehmen wollte, und löste damit unendliche, unerträgliche Debatten aus. John Travolta war allgegenwärtig, und alle wollten so sein wie er. Manchen gelang es, anderen – mir zum Beispiel – nicht.
Ich ging ins Kino und sah Grease , mit einem Mädchen, das mir sehr gefiel und das Barbara hieß.
Wir hatten uns auf einer Party kennengelernt und sie hatte erzählt, dass alle ihre Freunde den Film schon gesehen hatten, so dass sie nicht wusste, mit wem sie ihn sehen könnte. Also, so ein Zufall, log ich, auch ich hatte ihn noch nicht gesehen. Wenn sie Lust hätte, könnten wir ihn uns ja zusammen ansehen, vielleicht am darauffolgenden Nachmittag, der auch noch ausgerechnet ein Sonntag war.
Sie
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