Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Geschweige denn über den Mut, so etwas zu tun. Nach einer weiteren Beratung einigten wir uns schließlich darauf, wenigstens ein paar gute Pornofilme zu besorgen, was nicht ganz so aufwendig war und auch weniger peinlich. Jeder der Organisatoren brachte mindestens eine Videocassette mit, und aus irgendeinem Grund wurde ich damit beauftragt, die wertvolle Fracht zu transportieren.
Tatsache ist, dass ich in jener Nacht allein auf dem Weg zu dem Landgasthof war, wo das Fest stattfinden sollte, als es mir auf einmal durch den Kopf schoss, wie es wäre, wenn ich jetzt einen Unfall hätte, plötzlich tot wäre und inmitten von Filmen wie Schneetittchen und die sieben Zwerge , Mary poppt , Die drei Tage des Kondoms , Unter den Decken von Nizza oder Die feindliche Vorhaut geborgen werden würde.
Ich weiß, dass das verrückt von mir war, aber ich hatte den nur schwer in Schach zu haltenden Impuls, alle Filme wegzuwerfen, um bloß dieses Risiko zu vermeiden. Ich stellte mir vor, wie meine Eltern erfahren mussten, dass ihr Sohn nicht nur tot, sondern obendrein ein professioneller Perverser gewesen war. Ich stelle mir vor, wie meine Freundin – die später meine Frau und dann meine Ex-Frau werden sollte – in jenem tragischen Moment erfuhr, dass ihre zarten Gefühle einem triebhaften Pornografen gegolten hatten. Ich wollte alle um Verzeihung bitten, doch ich war tot und würde gezwungen sein, vom Fegefeuer aus – das mir sicher war – das Leid der anderen mit anzusehen, ohne es lindern zu können.
Ich schwöre, dass ich damals all diesen Unsinn dachte und dass ich zwar das pornografische Material nicht beseitigte, aber doch den Rest der Strecke mit dem sportlichen Fahrstil einer achtzigjährigen Nonne zurücklegte.
Wir kamen am Flughafen an, passierten den Check-in, die Sicherheitskontrolle und befanden uns schließlich in der großen Abflughalle. Es gab keine Ecken, in denen man sich verstecken konnte, und so sah ich mich vorsichtig um, ob Bekannte in der Gegend waren, womöglich aus dem Juristen-Milieu, die meine jugendliche Begleitung bemerken und in erstklassigen Klatsch umsetzen könnten.
Ich wollte das Risiko mindern, indem ich allein durch die Geschäfte stromerte. Caterina blieb neben dem Gate sitzen und hörte Musik aus ihrem iPod, den Blick in die Tiefe des Nichts gerichtet.
Ich trank einen Kaffee, nach dem ich überhaupt kein Bedürfnis hatte, studierte mit übertriebener Aufmerksamkeit alle Artikel einer Boutique mit Lederwaren, kaufte ein paar Zeitungen. Dann ertönte endlich die Aufforderung zum Einsteigen für unseren Flug, und ich machte mich ohne besondere Hast bereit.
Caterina hatte sich nicht von der Stelle bewegt, und auch ihr Gesichtsausdruck hatte sich nicht wesentlich verändert. Als sie mich sah, lächelte sie jedoch, nahm die Stöpsel der Kopfhörer aus den Ohren und forderte mich auf, mich neben sie zu setzen.
»Wir müssen gleich einsteigen«, sagte ich. Ich blieb vor ihr stehen, die Reisetasche in der Hand.
»Warum stellen wir uns an? Lassen wir doch die anderen einsteigen und gehen dann als Letzte zum Schalter.«
Nein danke, meine angeborene Überbesorgtheit verbietet mir ein so rationales Verhalten. Ich stehe lieber in der Schlange, auch eine Viertelstunde lang, und passe genau auf, dass mich keiner überholt. Falls plötzlich die Sitze im Flugzeug ausgehen und ich Gefahr laufen sollte, dass ich nicht mehr mitkam.
Das sagte ich natürlich nicht. Ich setzte mich und blätterte in meinen Zeitungen. Ein paar Minuten später – die Schlange war keinen Zentimeter vorangekommen – tippte Caterina mich an der Schulter an.
»Magst du Hip-Hop?«
Indem sie das sagte, nahm sie einen der Kopfhörer und reichte ihn mir, wobei ihr Kopf dem meinen sehr nahe kam. Ich hielt ihn ans Ohr, und meine Wange streifte beinahe die ihre. Dann explodierte die Musik, und ich brauchte eine paar Sekunden, bis ich sie erkannte.
»Das ist doch Mike Patton. We are not alone , wenn mich nicht alles täuscht.«
Sie sah mich mit aufrichtiger Verwunderung an. Dass ich diese Musik kannte und dann auch noch ausgerechnet diesen Song, passte einfach nicht in das Schema, das sie sich zurechtgelegt hatte. Sie wollte gerade etwas sagen, als eine Stimme mich ganz aus der Nähe rief.
»Herr Guerrieri!«
Ich hob den Kopf und erblickte direkt vor mir, besser gesagt, vor uns, die Uniform eines Polizisten, dessen Gesicht ich zwar kannte, dem ich aber keinen Namen zuordnen konnte.
Ich befreite mich ungelenk von dem
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