Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
nicht mehr geheim waren. Wegen der vierzigjährigen Sperrfrist war der größte Teil dessen, was er las, nicht mehr geheim. Und seit vierzig Jahren auch nicht mehr gelesen worden, wie es den Anschein hatte. Die Papiere waren vergilbt und brüchig und rochen nach Staub.
Er quälte sich mit einem Spionagefall in Göteborg, der sich zwischen 1940 und 1942 ereignet hatte. Da einige der später Verurteilten Zivilisten gewesen waren und zwei Offiziere, hatte er kafkaeske Mühen damit gehabt, das Material an einem Ort zusammenzubekommen, nämlich auf seinem Schreibtisch. Einige Akten hatten im Kriegsarchiv gelegen, etwa die Urteile des Feldkriegsgerichts beim Marinedistrikt der Westküste, anderes hatte sich im Landesarchiv gefunden, auf dem Umweg über eine Anforderung beim Reichsarchiv, etwa Urteile des Stadtgerichts von Göteborg vom 13. März 1942 oder von einem Oberlandesgericht, bei dem die Zivilisten Berufung eingelegt hatten, oder in den Akten des Kriegsgerichtshofs in Stockholm, wo die Angestellten der Streitkräfte Berufung eingelegt hatten.
Joar Lundwall bekam allmählich einen Überblick über den Verlauf der Ereignisse, zumindest insoweit, als sie sich in den Gerichtsakten widerspiegelten, im Verhalten der Richter sowie in den Verhören, die ebenfalls zu den Akten der verschiedenen Prozesse gehörten.
Wenn man das Ganze zu harten Fakten eindampft - denke ich schon wieder auf englisch, ich werde wohl allmählich müde, fragte er sich -, nun ja, wenn man die Geschichte konzentriert, ist der Ablauf ebenso deutlich wie tragikomisch.
Ein Beamter namens Carl Johan Torin und ein Verkaufsleiter in der Automobilbranche, Herbert Pott, hatten ähnliche Vorstellungen von Deutschland und dem sicheren Sieg Deutschlands im Krieg gehabt. Und ebenso gleichartige Träume von ihrer eigenen glänzenden Zukunft, die sich als unmittelbares Ergebnis der Tatsache einstellen würde, daß Schweden dem Deutschen Reich einverleibt wurde.
Torin glaubte, er werde eine Generalagentur für deutschen Hopfen erhalten. Ein vermutlich glänzendes Geschäft im Hinblick darauf, daß mit der beginnenden Neuordnung Europas jeder Germane in Schweden damit anfangen würde, echtes deutsches Bier zu trinken. Die Generalagentur für deutschen Hopfen sollte ihm nicht weniger als hundertfünfzigtausend Kronen Reingewinn pro Jahr einbringen, was damals vermutlich eine schwindelerregende Summe war, die etwa zehn Direktorengehältern entsprach.
Herr Pott stand dem kaum nach. Nach dem Krieg würde das Elend mit den generatorgasgetriebenen Autos natürlich verschwinden, und man hatte in Aussicht gestellt, ihm die Generalagentur für ein neues deutsches Auto zu übertragen, den Volkswagen, was ihn vermutlich ebenso vermögend machen würde wie den Hopfenimporteur.
Diese beiden Männer waren natürlich in einem gewissen Sinn Nazis. Sie hatten Vorstellungen von der Überlegenheit des arischen Blutes, von Schweden als einem echt germanischen Land, abgesehen von einigen Einwanderern und jüdischer Verunreinigung natürlich, doch Juden wurden ja nicht mehr ins Land gelassen. Überdies war die sozialdemokratische Vorherrschaft in der Regierung den Behauptungen der Herren in ihren Vernehmungsprotokollen zufolge über jeden Verdacht erhaben, wenn es um die Frage des Rassenbewußtseins ging.
Einer der Männer, wie es schien, Carl Johan Torin, war bei einer Geschäftsreise in Deutschland vom deutschen Nachrichtendienst angeworben worden. Torin und Pott gehörten dann zu den Gründern der »Gesellschaft für kulturelle und gesellschaftliche Aufklärung«, wie die Fassade der Organisation lautete. Sie sollte Propaganda treiben und Filme vorführen oder Bierabende veranstalten, bei denen Lieder wie »Denn wir fahren gegen Engeland« gesungen wurden.
Innerhalb der Gesellschaft wurde ein innerer Zirkel gebildet, eine Geheimorganisation mit dem germanisch schlagkräftigen Namen »die Wikinger«.
Bei einer Konferenz mit zehn Gleichgesinnten in seiner Wohnung in der Kungshöjdsgatan 11 hatte Carl Johan Torin die künftigen Ministerposten verteilt und unter anderem den Autohändler Pott zum Verkehrsminister gemacht:
»Du bist Autospezialist, und als solcher übernimmst du das Verkehrsressort.«
Seiner eigenen bescheidenen Person reservierte er die Posten als Führer und Ministerpräsident, äußerte jedoch gleichzeitig einen gewissen Vorbehalt im Hinblick darauf, daß die großdeutsche Europa-Regierung künftig vielleicht eigene Pläne habe.
Anschließend war es zu
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