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Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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bewältigen würde; also nicht Nacht, Dunkelheit, Mondschein, am liebsten schwacher Mondschein, und irgendwo in der Dunkelheit der Feind - damit würde er fertig werden. Er wurde vorübergehend von der Kellnerin gerettet, die mit dem Wein erschien, einem anderen Wein als dem, den sie damals getrunken hatten. Damals hatte er eine gelbere Farbe gehabt, so daß er mit dem blauen Tischtuch wie die schwedische Flagge aussah.
    Sie prosteten einander natürlich zu, und Carl ließ es sich plötzlich angelegen sein, etwas über den Wein zu sagen und die Farbe vor einer weißen Papierserviette anzusehen; Ausflüchte, die nicht lange vorhalten würden.
    Wenn sie mich jetzt rundheraus fragt, muß ich nein sagen, entschied er. Wir leben in einer Illusion. Man kann die Vergangenheit nicht zurückholen. Nein, dachte er im nächsten Augenblick, es ist wahrhaftig keine Illusion, aber das ist auch nicht das Problem. Das einfache Problem, das sehr einfach formulierte Problem, besteht darin, daß ich Eva-Britt im sechsten Monat nicht sitzenlassen kann, im siebten oder achten oder neunten und später übrigens auch nicht.
    Man kann nicht allem untreu werden, versuchte er zusammenzufassen. Dann durchzuckte ihn sofort der Gedanke, daß es keinen Ausweg gab, jedenfalls keinen Weg ohne Verrat. Was er auch tat oder sagte, würde irgendwie falsch sein. Außerdem konnte er nicht ewig über die Farben von Wein sprechen und sich nicht sonderlich weit über den Grillspieß hinaus retten, der wahrscheinlich auch diesmal nach wäßriger Tiefkühlkost schmecken würde.
    Inzwischen waren weitere Gäste ins Lokal geströmt. Eine Frau in ihrem Alter ließ einen Entzückensschrei hören, und dann gab es Küßchen und Umarmung. Wo hast du so lange gesteckt, darf ich dir Chester vorstellen, und derlei mehr.
    Carl kam die Frau vage bekannt vor. Es war eine Kommilitonin Tessies, und er selbst fühlte sich hinter seiner amerikanischen Sprache geborgen, als er sich ihr und ihrem Chester vorstellte. Besorgniserregend war schon, als sie etwas sagte wie »Der verlorene Sohn San Diegos ist wieder da«. Dann plapperte sie mit dem gewohnten amerikanischen small talk weiter, weit über die Grenzen des Üblichen hinaus. Carl und Chester standen auf und versuchten gleichmütig auszusehen, während Kommilitonen, Kommilitoninnen und studentische Erinnerungen Revue passierten. Die Frau begann, sich nach einem Platz umzusehen, jedoch in der deutlichen Absicht, zum Bleiben aufgefordert zu werden.
    Tessie widerstand, so gut es ging, aber als die Frage schließlich fast offen gestellt wurde (»Scheint schwierig zu sein, hier einen Fensterplatz zu bekommen, nicht wahr?«), war es unmöglich, die Kapitulation zu vermeiden (»Aber warum setzt ihr euch nicht zu uns?«). Carl überließ den unangenehmen Entschluß Tessie, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Aber ihr könnt euch doch zu uns setzen?« sagte Tessie schließlich resigniert.
    Amerikaner, dachte Carl.
    Nachdem man sich eine Zeitlang den Wünschen der ungebetenen Gäste gewidmet hatte, nachdem Tessie und Carls Essen aufgetragen worden war, nach weiterem sinnlosem Gerede über die Zeit an der San Diego University, nach Erinnerungen an eine Dozentin, eine Nonne, und Glückwünschen zur Scheidung (»Ich habe gehört, daß du den Scheißkerl endlich abserviert hast«), während Carl sich fast demonstrativ in die Aussicht auf den Flugzeugträger, die Wasserfläche und die Erinnerungen an Wasserflächen vertiefte, da er sich in seiner Anonymität und hinter seiner amerikanischen Sprache geborgen fühlte, stellte sich heraus, daß die plappernde Dame, wie Carl sie im stillen getauft hatte, etwas Konkretes auf dem Herzen hatte.
    »Es ist ein komischer Zufall, daß mein Mann Journalist ist.
    Wir haben gehört, daß ihr hier sitzt, und ich habe mir gedacht, es kommt ja nicht jeden Tag vor, daß ein James Bond in der Stadt zu Besuch ist…«, hörte Carl sie mit plötzlich erwachender Deutlichkeit sagen.
    »Die Rechnung, bitte«, sagte er in dem Moment, in dem er aufstand, der nächsten Kellnerin. Nach einigem Zögern, einem sehr kurzen Zögern, wie Carl notierte, erhob sich auch Tessie.
    »Es war schrecklich nett, dich kennenzulernen, Chester«, sagte Carl. Er lächelte sehr breit und amerikanisch, ehe er sich umdrehte und auf die Treppe zuging.
    Joar Lundwall hatte mit Hilfe verschiedener Genehmigungen, die ihm Samuel Ulfsson verschafft hatte, das Recht erhalten, bestimmte Akten mit in die Wohnung zu nehmen. Besonders solche, die

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