Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
zufällig einen Bruder in der schwedischen Quisling-Regierung hat, die sich vor etwa einem halben Jahr in der Kungshöjdsgatan 11 konstituiert hat.
Der Nazi Renhammar erfährt, daß der Zerstörer am nächsten Morgen um 7.00 Uhr auslaufen soll, um die »Elisabeth Bakke« auf ihrem Weg nach England zu eskortieren, solange sie sich in schwedischen Gewässern befindet.
Leutnant zur See Renhammar hat einen Vertrauten namens Carl Leopold Sterner, Leutnant an Bord des Zerstörers. Die beiden haben es jetzt eilig, den Deutschen die Information zukommen zu lassen. Sie richten es höchst ungeschickt so ein, daß der Leutnant den inzwischen außerordentlich bekannten und folglich abgehörten Nazibruder seines Oberleutnants anruft und diesen bittet, mit den Angaben zur deutschen »Gesellschaft« zu eilen. Alles im Klartext und mit richtigen Namen.
Die »Elisabeth Bakke« wird zwar durch Nebel aufgehalten, aber die deutsche Gesandtschaft in Stockholm kann sich schon am folgenden Tag an schwedische Behörden wenden und sich über den Neutralitätsbruch beschweren. Zu einem Zeitpunkt übrigens, als schwedische Zerstörer in der Ostsee deutsche Geleitzüge eskortierten. Der Fehler des deutschen Nachrichtendienstes, so schnell zu zeigen, daß die Angelegenheit bekannt war, war unverzeihlich, ob nun aufgrund von Arroganz oder Dummheit.
Der schwedische Sicherheitsdienst verhielt sich im großen und ganzen nicht besser, denn der Leutnant und der Oberleutnant wurden jetzt festgenommen. Klüger wäre es gewesen, mit Ermittlungen zu beginnen, um in Göteborg weitere beteiligte Marineoffiziere zu finden.
Zum Beispiel einen gewissen Kapitän von Otter. Doch das geschah nicht. Wollte man nicht? Hatte man absichtlich zu früh zugeschlagen? Unmöglich, darauf eine Antwort zu finden.
Anschließend gab es natürlich Gerichtsverfahren. Ebenso selbstverständlich wurde die ganze Bande verurteilt, vor allem da jeder zweite Angeklagte alles gestand, was sich gestehen ließ, zum Teil in dem Glauben, eine Gefängnisstrafe um Deutschlands willen würde ihnen oder ihren Geschäften nur nützen, wenn Schweden in etwa einem Jahr zu einem deutschen Vasallenstaat wurde.
Ein zum Handelsminister ernannter Uhrmacher in der Bande erklärte während des Prozesses, nichts könne ihm gleichgültiger sein als die Dauer seiner Gefängnisstrafe, da er sich im Lauf eines halben Jahres ohnehin wieder auf freiem Fuß befinden werde.
In einem halben Jahr? Ein halbes Jahr später trat die Schlacht um Stalingrad in ihre entscheidende Phase.
Zu keinem Zeitpunkt der Prozesse, weder vor den zivilen Gerichten, die sich um die »Wikinger« kümmerten, oder vor den Kriegsgerichten fiel ein einziges Wort, das zu einem Kapitän von Otter führte.
Hingegen fanden sich in den Akten zahlreiche Behauptungen über englische Agententätigkeit in der Gegend von Göteborg und darüber, daß die Bekämpfung dieser gegen Schweden gerichteten »feindseligen« Tätigkeit ein Hauptanliegen der Bande gewesen sei. Bei der Abwehr der englischen Spionage habe die Polizei tatkräftig mitgeholfen. Diese weigerte sich jedoch, Namen von »Vaterlandsfreunden bei der Polizei« zu nennen.
Das sah nach hoher Protektion aus oder zumindest nach Protektion irgendwo bei der Polizei.
War es möglich, daß diese Protektion von einer unbekannten und nie entdeckten Verästelung der Nazi-Bande ausging? Vielleicht hatte es noch weitere Marineoffiziere gegeben.
Man hatte ja nur bei der ersten besten Gelegenheit Renhammar und diesen Sterner geschnappt und anschließend so getan, als wären die beiden allein gewesen.
War die schwedische Polizei gleichzeitig gegen englische Spione vorgegangen? Gab es Polizisten, die sich hauptamtlich damit beschäftigten? Und wenn ja, hatten sie Tipgeber in englandfeindlichen Kreisen, etwa unter Nazis?
Wie sollte man überhaupt die Arbeit der Polizei im Göteborg der Jahre 1940 bis 1945 untersuchen?
Joar Lundwall fühlte, wie die Müdigkeit ihn übermannte.
Vielleicht lag es daran, daß er schon ahnte, was für eine Schufterei es werden würde, die Tätigkeit der Spionagepolizei in Göteborg in vier oder fünf Kriegsjahren unter die Lupe zu nehmen.
Er gab seine letzten Notizen und Fragen in den Computer ein und löschte das Licht. Dann fiel ihm etwas ein. Er machte wieder Licht und verschloß die Akten in einem seiner Waffenschränke, bevor er sich fast wankend ins Badezimmer begab.
In den Jahren 1939 bis 1946 wurden in Schweden 444 Menschen wegen Spionage
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