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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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gebrauchen. Sie haben jedoch ausgezeichnete Arzneimittel, die aus Kräutern bestehen, um zufällige Beulen und Ritzen im Fußgelenke oder in der Kehle, welche durch scharfe Steine bewirkt werden, sowie auf andere Verletzungen und Lähmungen an den verschiedenen Körpertheilen zu heilen.
    Das Jahr berechnen sie nach den Umwälzungen des Mondes und der Sonne, gebrauchen jedoch keine Unterabtheilungen in Betreff der Wochen. Sie sind mit den Bewegungen dieser beiden Licht gebenden Körper genau bekannt, so wie auch mit der Ursache ihrer Verfinsterungen. Hierauf aber beschränken sich alle ihre Fortschritte in der Astronomie.

    Man muß zugestehen, daß sie in der Poesie alle übrigen Sterblichen übertreffen; die Richtigkeit ihrer Gleichnisse, so wie die Genauigkeit ihrer Beschreibungen sind wirklich unübertreffbar. Ihre Verse haben an diesen beiden Eigenschaften Ueberfluß und enthalten gewöhnlich exaltirte Begriffe von Freundschaft und Wohlwollen, oder den Ruhm der Sieger beim Wettrennen oder bei andern körperlichen Uebungen. Ihre Gebäude, obgleich sehr roh und einfach, sind nicht sehr zierlich, aber sehr gut eingerichtet, um vor jeder schädlichen Einwirkung der Kälte und Hitze zu schützen. Sie besitzen einen Baum, welcher, sobald er vierzig Jahre alt ist, an der Wurzel lose wird und beim ersten Sturme niederfällt. Er wächst ganz gerade in die Höhe, wird als ein Stock mit scharfen Steinen (der Gebrauch des Eisens ist den Hauyhnhnms unbekannt,) zugespitzt; die so gebildeten Balken werden in der Entfernung von zehn Fuß nebeneinander aufgestellt, mit Haferstroh und bisweilen mit Hürden verflochten. Dach und Thür wird in derselben Art gebildet.
    Die Hauyhnhnms gebrauchen den hohlen Theil ihres Vorderfußes, zwischen dem Hufe und dem Fußgelenk, in derselben Weise wie wir unsere Hände und zwar mit größerer Geschicklichkeit, als ich zuerst glauben konnte. Ich habe gesehen, wie eine weiße Stute aus unserer Familie mit diesem Gelenke eine Nadel einfädelte, die ich ihr zu dem Zwecke geliehen hatte. Auf dieselbe Weise melken sie ihre Kühe, ärnten sie ihren Hafer und verrichten jede Arbeit, welche die Hand erfordert. Sie haben ferner eine Art Feuerstein, den sie durch Schleifen an andern Steinen zu Instrumenten bilden, deren sie sich als Keile, Aexte und Hämmer bedienen. Mit Werkzeugen aus diesen Feuersteinen schneiden sie auch das Heu und den Hafer ab, welcher auf ihren Feldern wächst; alsdann ziehen Yähus die Garben auf Wägen nach Hause und die Diener treten auf dieselben in geeigneten verdeckten Hütten, bis das Korn heraus ist, welches alsdann aufbewahrt wird. Sie verfertigen ferner eine rohe Art hölzerner und irdener Gefäße und trocknen letztere an der Sonne.

    Wenn die Hauyhnhnms zufällige Unglücksfälle vermeiden können, so sterben sie nur im höchsten Alter, und werden alsdann an den dunkelsten Orten, die man finden kann, begraben, wobei Freunde und Verwandte weder Kummer noch Freude zeigen.

    Auch offenbart die sterbende Person nicht den geringsten Schmerz, daß sie die Welt verlassen muß, sondern äußert dieselbe Stimmung, als kehre sie von einem Besuche bei Nachbarn nach Hause zurück. Ich erinnere mich, einst hatte mein Herr mit einem Freunde und dessen Familie die Verabredung getroffen, in seinem Hause eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. An dem festgesetzten Tage kam die Gemahlin desselben mit ihren zwei Kindern jedoch sehr spät. Sie brachte zwei Entschuldigungen vor. Der erste betraf ihren Mann, der, wie sie sagte, den Morgen gerade Llnuwnh wäre; dies Wort ist sehr ausdrucksvoll in der Sprache, und läßt sich nicht leicht in's Englische übersetzen. Es bedeutet: »sich zu seiner ersten Mutter zurückziehn.« Die zweite Entschuldigung, weil sie nicht früher kam, betraf sie selbst. Als ihr Mann spät am Morgen gestorben sey, habe sie sich mit ihren Bedienten berathen, an welchem passenden Platze der Leichnam wohl hingelegt werden könne. Ich bemerkte, sie benahm sich in unserem Hause so heiter wie die übrigen, und starb ungefähr drei Monate nachher.
    Die Hauyhnhnms leben gewöhnlich bis zum siebenzigsten oder fünfundsiebenzigsten, selten bis zum achtzigsten Jahre. Einige Wochen vor ihrem Tode fühlen sie eine allmählige Abnahme ihrer Kräfte, jedoch ohne Schmerz zu empfinden. Während dieser Zeit werden sie häufig von ihren Freunden besucht, weil sie mit der gewöhnlichen Bequemlichkeit und Zufriedenheit nicht mehr ausgehen können. Zehn Tage vor ihrem Tode, dessen

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