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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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werden. Den Dienern ist nicht mehr als die Hälfte dieser Zeit zugestanden, und ein großer Theil des Grases, wovon sie sich nähren, wird nach Hause gebracht. Sie essen dasselbe in passenden Stunden, wenn man sie am besten bei der Arbeit entbehren kann.
    Mäßigkeit, Fleiß, Körperbewegung und Reinlichkeit werden als immerwährende Lehren den Füllen beider Geschlechter gegeben. Auch hielt es mein Herr für ein widernatürliches Verfahren, daß wir den weiblichen Personen unseres Geschlechtes eine andere Erziehung wie den männlichen geben, mit Ausnahme einiger Punkte, welche die Verwaltung des Hauswesens betreffen. Er bemerkte mit vollkommenem Recht, die Hälfte unserer Eingeborenen sey deßhalb zu nichts anderem brauchbar, als zum Hervorbringen von Kindern. Der Umstand jedoch, daß man die Erziehung der Kinder solchen nutzlosen Personen anvertraue, sey ein noch größerer Beweis von unserer thierischen Natur.
    Die Hauyhnhnms ziehen dagegen ihre Jugend zur Kraft, Schnelligkeit und Abhärtung auf; dieselbe muß auf steilen Anhöhen und steinigem Boden öftere Wettrennen halten. Sind die Füllen in Schweiß gerathen, so müssen sie bis über die Ohren in einen Teich oder Fluß sich tauchen. Viermal des Jahres kommt die Jugend eines bestimmten Distrikts zusammen, um ihre Fortschritte im Laufen, Springen und anderen Beweisen ihrer Fertigkeit und Behendigkeit zu zeigen; der Sieger oder die Siegerin wird dabei mit einem Lobgedichte belohnt. Bei dieser Festlichkeit treiben die Bedienten eine Heerde Yähus auf das Feld, welche mit Heu, Hafer und Milch zur Bewirthung der Hauyhnhnms bestimmt sind. Alsdann aber werden die Thiere sogleich wieder zurückgetrieben, damit sie der Gesellschaft nicht lästig werden.

    Alle vier Jahre wird im Frühlingsäquinoctium eine Repräsentativ-Versammlung der ganzen Nation auf einer Ebene gehalten, welche ungefähr zehn Stunden von unserem Hause entfernt liegt. Hier untersuchen die Hauyhnhnms den Zustand der verschiedenen Distrikte, ob dieselben Ueberfluß an Heu, Hafer, Kühen, Yähus besitzen, oder daran Mangel leiden. Findet sich irgendwo ein Mangel (ein Fall, der sich jedoch nicht häufig ereignet), so wird er sogleich durch einstimmig ertheilten Beitrag wieder ausgeglichen. Hier werden auch die Regulirungen, hinsichtlich der Kinder festgesetzt; z. B. wenn ein Hauyhnhnm zwei männliche Kinder hat, so vertauscht er eines mit einem andern, der zwei weibliche besitzt; ist ferner ein Kind durch Zufall verloren gegangen und die Mutter bereits schon alt, so wird beschlossen, welcher Distrikt ein anderes Kind aufziehen soll, um den Verlust zu ersetzen.

Neuntes Kapitel.

    Eine große Debatte in der allgemeinen Versammlung der Hauyhnhnms und was darin beschlossen wird. Die Gelehrsamkeit der Hauyhnhnms. Ihre Gebäude. Ihre Begräbnißart. Die Mangelhaftigkeit ihrer Sprache.

    Ueber eine dieser großen Versammlungen will ich hier berichten, welche drei Monate vor meiner Abreise gehalten wurde, und an welcher mein Herr als Repräsentant seines Distriktes Antheil nahm. In dieser Versammlung wurde die alte Debatte wieder aufgenommen, welche beinahe die einzige in dem Lande ist. Mein Herr gab mir darüber nach seiner Rückkehr einen sehr ausführlichen Bericht.
    Die Frage betraf die Vertilgung der Yähus von der Erde. Ein Parlamentsglied sprach dafür und führte mehrere gewichtige Gründe für seine Meinung an. Es behauptete: So wie die Yähus die schmutzigsten, unruhigsten und häßlichsten Thiere seyen, welche die Natur jemals hervorgebracht habe, so zeigten sie sich auch störrig, ungelehrig und boshaft. Im Geheimen sögen sie Milch aus den Brüsten der Kühe, welche den Hauyhnhnms gehörten, tödteten und fräßen die Katzen derselben, zerträten Hafer und Gras, wenn man nicht ein genaues Auge auf sie habe, und begingen tausend andere Ausschweifungen.

    Der Redner führte alsdann eine allgemeine Tradition an: Yähus habe es nicht ewig in seinem Vaterlande gegeben. Vor langer Zeit seyen zwei dieser Thiere auf einem Berge erschienen. Ob sie von der Hitze der Sonne aus verfaultem Morast und Schlamm, oder aus dem Abfluß und dem Schaum der See entstanden seyen, bleibe ungewiß; diese Yähus hätten eine Nachkommenschaft gezeugt, die bald so zahlreich geworden, daß sie die ganze Nation angreifen konnte; die Hauyhnhnms, um das Uebel los zu werden, hätten eine allgemeine Jagd angestellt und zuletzt die ganze Heerde eingeschlossen; die älteren seyen getödtet worden; jeder Hauyhnhnm habe zwei junge

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