Gullivers Reisen
Jahre ward ich auf die Universität Cambridge geschickt, wo ich drei Jahre lang blieb und fleißig studirte. Jedoch die damit verbundenen Kosten waren zu groß für das kleine Vermögen meines Vaters, obgleich ich nur einen unbedeutenden Wechsel erhielt; somit wurde ich bei Herrn James Bates , einem ausgezeichneten Wundarzte der Hauptstadt London, in die Lehre gegeben, bei welchem ich drei Jahre blieb. Von Zeit zu Zeit schickte mir mein Vater kleine Geldsummen, die ich auf die Erlernung der Schifffahrtkunde und auf das Studium anderer mathematischen Wissenschaften verwandte, deren Kenntniß für diejenigen durchaus nothwendig ist, welche große Reisen unternehmen wollen; ich hegte nämlich immer ein gewisses Vorgefühl, dies werde früher oder später mein Schicksal seyn. Als ich Herrn Bates verließ, kehrte ich zu meinem Vater zurück, und erlangte von ihm, meinem Onkel James und einigen andern Verwandten die Summe von 43 Pfund. Zugleich wurden mir 30 Pfund jährlich versprochen, so daß ich die Universität Leyden beziehen konnte. Dort studierte ich zwei Jahre und sieben Monate die Medicin. Ich wußte, daß sie mir auf großen Reisen von Nutzen seyn würde.
Bald nach meiner Rückkehr von Leyden erhielt ich durch die Empfehlung meines guten Lehrers Bates die Stelle eines Wundarztes auf der Schwalbe , deren Capitän der Commander [8] Abraham Pannel war. Mit diesem Schiffe machte ich einige Reisen nach der Levante und andern Gegenden. Nach meiner Rückkehr beschloß ich, mich in London niederzulassen, wozu mich auch Hr. Bates ermuthigte, nachdem er mich mehreren seiner Patienten empfohlen hatte. Ich miethete mir ein Stockwerk eines kleinen Hauses in Old Jewry, und da man mir rieth den Stand des Hagestolzen aufzugeben, verheirathete ich mich mit Marie Burton , der zweiten Tochter des Strumpfhändlers Edmund Burton in Newgatestreet, von der ich 60 Pfund Mitgift erhielt.
Nach zwei Jahren starb aber mein guter Lehrer Bates . Ich hatte nur wenig Freunde und somit verschlimmerte sich auch mein Geschäft, denn mein Gewissen erlaubte mir nicht auf tadelnswerthe Art in meiner Praxis mitunter zu verfahren, wie dies bei so vielen meiner Collegen gewöhnlich ist. Nachdem ich deßhalb eine lange Berathung mit meiner Frau und mehreren meiner Bekannten gehalten hatte, beschloß ich wieder in See zu gehen. Ich wurde Wundarzt auf zwei Schiffen und machte sechs Jahre lang verschiedene Reisen nach Ostindien und Amerika, wodurch ich mein Vermögen etwas vermehrte. In meinen Mußestunden las ich die besten älteren und neueren Schriftsteller, denn ich hatte stets eine nicht unbedeutende Anzahl Bücher mitgenommen; war ich an's Land gegangen, so beobachtete ich die Sitten und Charaktere der verschiedenen Nationen und erlernte ihre Sprachen. Durch die Stärke meines Gedächtnisses war ich zu letzterem befähigt.
Da die letzte dieser Reisen nicht sehr glücklich ausfiel, ward ich des Seefahrens müde, und beschloß, bei meiner Frau und meiner Familie zu bleiben. Ich zog aus Old Jewry nach Fetterlane und von da nach Wapping, denn ich hoffte, unter den dortigen Matrosen mir eine ärztliche Praxis zu verschaffen; allein diese Veränderung schlug nicht zu meinem Vortheil aus. Nachdem ich drei Jahre auf eine Verbesserung meiner Lage gewartet hatte, erhielt ich vom Capitän William Prichard , dem Eigenthümer der Antilope , welche im Begriff war, nach der Südsee abzusegeln, ein vortheilhaftes Anerbieten. Wir fuhren am 4. Mai 1699 von Bristol ab und unsre Reise war anfangs glücklich.
Einige Gründe bestimmen mich, den Leser mit den Einzelnheiten unsrer Reise in jenen Meeren nicht zu langweilen; es genüge die Bemerkung, daß wir auf unserer Fahrt von Bristol nach Ostindien durch einen heftigen Sturm nordwestlich von Van Diemen's Land getrieben wurden. Durch nautische Beobachtungen bemerkten wir, daß wir uns in der 2ten Minute des 30sten Grades südlicher Breite befanden. Zwölf Mann hatten wir durch übermäßige Arbeit bei schlechter Nahrung bereits verloren; die Uebrigen waren gänzlich erschöpft. Am 5. November, dem Anfang des Sommers unter diesen Breitengraden, war das Wetter trübe; die Matrosen gewahrten ein Felsenriff in der Entfernung von einer halben Kabel-Länge; der Wind war stark. Wir wurden darauf hingetrieben und scheiterten. Sechs von der Mannschaft, worunter ich mich befand, setzten das Boot aus und suchten vom Schiff und dem Felsenriff loszukommen. Wir ruderten nach meiner Berechnung drei Seemeilen, bis es unmöglich
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