Gurkensaat
Umziehen! Jeans und Pulli – keine Uniform!«, lachte Frau Dr. Junkers.
Annabelle drehte den Kopf so, dass sie den blauen Himmel durch das Fenster sehen konnte, und wartete. Miranda und Toni hatten zu Besuch kommen sollen, doch sie saß noch immer allein hier. Dabei war es eine Lieblingsbehauptung von Miranda, ihre beste Freundin zu sein! Naja, sie wollte nicht zu hart urteilen. Nach dem, was gestern passiert war, konnte es durchaus ein bisschen schwierig sein, sie zu besuchen. Und ziemlich früh am Morgen war es auch noch – vielleicht zu früh. Bestimmt kämen die beiden etwas später.
Selbst damals, als sie Ringelröteln hatte, war es den beiden gelungen, sich zu ihr zu schleichen, obwohl der Arzt Krankenbesuche ausdrücklich verboten hatte.
Diesmal, das hatte ihr die freundliche Schwester erzählt, hielt allerdings, als zusätzliche Hürde, ein Polizist vor ihrer Tür Wache.
Es klopfte und Peter Nachtigall betrat mit Frau Dr. Junkers den Raum. Annabelle fixierte das Stück Himmel, das sie bereits die ganze Zeit im Visier hatte.
»Annabelle – ich bin Peter. Peter Nachtigall.«
Am Himmel zog eine Wolke vorbei, die an einen flauschigen, weichen Drachen erinnerte.
»Ich möchte dich gern ein paar Dinge fragen.«
Der Drache blinzelte ihr zu und sie entdeckte plötzlich einen lachenden Zwerg, der zwischen den mächtigen Schwingen kauerte und mit seinem viel zu großen Hut winkte. Gern hätte sie den freundlichen Gruß erwidert, aber ihre Arme gehorchten ihr nicht.
»Du hast schlecht geschlafen. Nach dem Tag gestern kein Wunder!«, begann Peter Nachtigall einfühlsam. »Erwachsene können so etwas auch nur schwer verkraften.«
»Ich bin mit diesem Fall betraut worden.«
»Willst du mir vielleicht bei der Lösung ein wenig helfen? Allein werde ich es wohl nicht schaffen.«
»Ich glaube, du könntest etwas Wichtiges gesehen haben.«
»Durch ein Fenster?«
Es war, als habe das Mädchen nicht einmal seine Anwesenheit bemerkt. Doch so schnell würde er nicht aufgeben, nahm Nachtigall sich entschlossen vor. Er konnte ebenfalls hartnäckig sein!
Ein großer schwarzer Vogel schloss sich dem Drachen und seinem Reiter an, tanzte wild um die beiden herum, und zeigte, welch atemberaubende Kunststücke er fliegen konnte. Der Drache wedelte kurz mit dem Schweif, was offensichtlich eine Einladung an den Vogel war, ihn zu begleiten.
»Ich verstehe, dass du mit niemandem sprechen möchtest. Aber ich dachte, vielleicht wäre es eine gute Möglichkeit für dich aufzuzeichnen, was du gesehen hast.« Ohne Hast legte Nachtigall einen Block und einige Stifte auf den Nachttisch. Auffordernd schlug er das erste Blatt auf.
Annabelle überlegte. Es wäre toll, sich in einen Vogel zu verwandeln und mit dem Drachen davonzufliegen. Irgendwohin, wo nur freundliche Menschen lebten.
Als sie eine Ewigkeit später zu dem großen Mann mit dem Vogelnamen hinübersah, war er verschwunden.
Weggeflogen, dachte Annabelle neidisch und wandte ihr Gesicht wieder dem Himmel zu.
12
»Sie?«, keuchte Richard Mühlberg überrascht.
»Guten Morgen. Können wir für einen Moment reinkommen?« Albrecht Skorubski fragte sich, ob wirklich der Anblick der Kriminalbeamten den jungen Mann so aus der Bahn geworfen haben konnte. Die Nachricht vom Tod des kleinen Maurice gestern schien ihn nicht derart schockiert zu haben.
»Ja, kommen Sie nur. Haben Sie den Täter gefasst?«
»Leider nicht. Wir haben noch ein paar Fragen.«
Mühlberg gab den Eingang frei und führte die beiden Ermittler ins Wohnzimmer. Frau Hain war sehr blass, wirkte aber mühsam gefasst.
»Noch mehr Fragen?«, hauchte sie statt einer Begrüßung.
»Ja, tut mir leid«, erklärte Skorubski und stellte Michael Wiener vor. »Wir haben gehört, die Sorgerechtsregelung wurde im Einvernehmen mit den Kindern getroffen. Stimmt das so?«, erkundigte er sich. Seiner Erfahrung nach war es besser, zum Kern des Problems vorzustoßen, als um den heißen Brei herumzureden.
»Ich sehe nicht, was diese Frage mit dem Tod von Maurice zu tun haben soll!«, protestierte Mühlberg, doch Frau Hain winkte ab.
»Ja, das stimmt. Maurice wollte mit uns leben, Annabelle gefiel es bei ihrem Vater besser. Es wurde gemeinsames Sorgerecht vereinbart. Ihre Entscheidung hat mich zunächst verletzt, aber Johannes musste ja auch damit leben, dass Maurice bei Richard und mir bleiben wollte.«
»Wollten die Geschwister die Ferien gemeinsam verbringen?«
»Nein«, antwortete Mühlberg. »Maurice
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