Gurkensaat
sitzt.«
»Emile kann es sich auch vorstellen, Michael ebenso – offensichtlich bin ich der Einzige, der das nicht für eine denkbare Variante hält«, meckerte er.
»Das liegt daran, dass du so gerne Papa bist!«, kicherte Conny aus der Ferne.
»Jule wollte mich ja auch nicht verlassen. In solch einer Situation käme für mich eher die Mutter als Mordopfer infrage!«
»Nun ja«, überlegte seine Frau, »wenn du wolltest, dass sie ein Leben lang leidet, sicher nicht. Bringst du sie um, hast du nur einen kurzen Moment der Rache und alles ist vorbei. Nein, ein eiskalter Täter würde das Kind töten!«
»Frauen können so gefühllos sein!«, beschwerte sich Nachtigall.
»Wir können ja unseren gefühlsmäßigen Zustand überprüfen, wenn ich wieder zurück bin«, lachte Conny warm und es klang wie ein Versprechen.
19
Annabelle lag steif in ihrem Bett und starrte an die Decke. Lichtreflexe huschten darüber und tauchten über die Wand ins Nirgendwo ab. Wo die nur herkamen, überlegte das Mädchen, und was passierte mit dem Licht, wenn es durch die Ritzen in der Wand verschwunden war? Gab es jemanden, der es einsammelte, damit es in der nächsten Nacht wieder durchs Zimmer geistern konnte? War es immer dasselbe Licht, das in einem bestimmten Raum lebendig wurde, oder konnte es sich frei durch die Luft zu jedem Ort bewegen, an den es wollte?
Sie stellte sich schmunzelnd einen buckligen Zwerg vor, der das Licht nach seiner Wanderung über Decken und Wände mit einer großen Schaufel in Körbe füllte, die dann auf einem Laufband Richtung Himmel schwebten, wo ein anderer Zwerg sie entgegennahm.
Das Gespräch mit Miranda und Toni hatte leider keine neuen Erkenntnisse gebracht. Miranda blieb bei ihrer Meinung, Annabelle dürfe niemandem etwas erzählen, sonst geriete sie selbst in Gefahr, während Toni, der viele Dinge entspannter sah, erklärte, wenn der Vogelpolizist so einen netten Eindruck gemacht habe, könne sie sich ihm ruhig anvertrauen. Am Ende kamen sie überein, es sei das Beste, Miranda und Toni dächten noch einmal gründlich darüber nach. Bei ihrem nächsten Besuch hätten sie bestimmt einen guten Lösungsvorschlag. Annabelle war mit dieser Regelung einverstanden gewesen.
Doch jetzt fiel ihr plötzlich ein, dass sie ja gar nicht wusste, wann die Freunde wiederkommen würden! Eventuell dauerte es mehrere Tage bis zu einem neuen Besuch. Annabelles Augen füllten sich mit Tränen.
Sie war allein. Allein mit all dem Schrecklichen. Und ihrer Schuld.
Vorsichtig probierte sie ihre Stimme. Und unversehens löste sich ein Schrei aus der Tiefe ihrer Seele, der ihren Schmerz und ihre Qual weit durch die Flure und Zimmer des Klinikums trug.
20
»Warum hast du diesem Nachtigall nichts davon erzählt? Er hätte uns vielleicht helfen können!«
»Nein! Das ist keine Angelegenheit für die Polizei. Solche Probleme löse ich, wie es bei uns von jeher üblich war – allein!«
»Aber hast du dir auch klargemacht, was es für uns und die Firma bedeuten würde, wenn er seine Drohung wahr macht? Der gute Name Gieselke wäre auf Dauer besudelt!«
»Meine Familie hat sich noch nie einschüchtern lassen. Kommt nicht infrage, dass ich einem solchen Parasiten auch nur einen Cent in den Rachen schleudere!«
»Die Polizei wird den alten Vorfall ohnehin in den Akten finden«, mahnte Frau Gieselke. »Ich habe das Gefühl, es macht uns irgendwie verdächtig, wenn wir es nicht von selbst erwähnen.«
Ihr Mann schwieg starrköpfig. Sie beobachtete von der Seite, wie sich seine Unterlippe trotzig nach vorne schob.
»Das Bett ist nicht der richtige Ort für eine solche Diskussion!«, wies er seine Frau zurecht. »Hier sollte Harmonie vorherrschen.«
Mit einer heftigen Bewegung griff er nach dem Buch auf seinem Nachttisch und hätte dabei um ein Haar ein Wasserglas umgestoßen. Ungehalten knurrend, schlug er das Fachbuch zum Thema Jagd auf Niederwild auf und gab sich redlich Mühe, den Anschein zu erwecken, er lese.
Doch für Frau Gieselke war das Thema noch nicht beendet. »Unser kleiner Maurice ist tot! Hast du das schon vergessen?«, fuhr sie ihn an und beobachtete zufrieden, wie er zusammenzuckte. »Unsere Familie fällt auseinander!«
Einen Moment überlegte Olaf Gieselke, ob er seine Frau in die Arme nehmen sollte, entschied sich aber dagegen.
»Hör zu – ich glaube nicht, dass dieser Typ unseren Enkel auf dem Gewissen hat. Es ist schließlich etwas völlig anderes! Und abgesehen davon sind solche Leute
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