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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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in ständiger Bewegung ist, plötzlich die Richtung ändert, die Formation und den Umfang, irritiert er Fressfeinde. Manchmal sind die Angreifer so verwirrt, dass sie ohne jede Beute wieder abziehen. Geparde oder Leoparden suchen sich gerne vor Beginn der Hatz ein potenzielles Opfer aus. Im unübersichtlichen Gewusel der Herde verlieren sie es aus den Augen und haben Probleme, sich für ein neues Tier zu entscheiden. Sie schwanken, jagen hier, hetzen dort und verschleißen dabei ihre Kräfte sinnlos.«
    »Auf den Menschen bezogen würde diese Theorie bedeuten, dass wir in Großstädten sicherer leben als auf dem Land. Das stimmt nicht!«
    Marnie lachte gutmütig. »Das liegt daran, dass der größte Feind des Menschen der Mensch ist! Der Tod kommt aus der Nachbarschaft! Gnus oder Zebras bringen sich nicht gegenseitig um, Heringe fressen einander nicht. Bei uns ist jedes Gruppenmitglied ein möglicher Feind. Je größer die Gruppe, desto mehr potenzielle Feinde.«
    »Ich finde dich ja auch zum Fressen toll!« Mit einem gutturalen Laut drehte er sich zu ihr um und begann durch leichtes Knabbern die Stellen zu markieren, die ihm besonders verführerisch erschienen.
    Marnie kicherte und begann lustvoll zu stöhnen.
    Mit einer geschmeidigen Bewegung zog Wiener Marnie sanft auf den Teppich.
     
    Das Telefon klingelte und zerstörte diesen magischen Moment.
    »Wiener!«
    »Pankratz. Wolfgang Maul ist morgen früh mein erster Patient. Ich habe gehört, Sie werden teilnehmen?«, fragte der Gerichtsmediziner ohne weitere Einleitung. Er war bekanntermaßen kein Freund des Smalltalks.
    »Ja. Ich komme. Wolfgang Maul ist mein Ermittlungsschwerpunkt.« Wiener räusperte sich und versuchte, seine weit abgeschweiften Gedanken wieder auf den aktuellen Mordfall zu konzentrieren. »Sie waren ja dabei, als wir seine Leiche gefunden haben.«
    »Gefunden? Klingt, als habe ihn jemand verloren. Eine etwas unpassende Verwendung des Wortes in diesem Fall, finden Sie nicht auch?«, hörte er noch, dann war das Gespräch beendet.
    Befremdet legte Wiener das Telefon auf den Couchtisch zurück. Als er sich umwandte, zwinkerte Marnie ihm zu. »Wollen wir an der Stelle weitermachen, an der wir unterbrochen wurden? Oder sollen wir etwas weiter vorne einsteigen? Ich könnte dir noch so manche spannende Einzelheit über Schwärme und Schwarmverhalten erzählen«, bot sie an.
    Das schien nicht notwendig zu sein.

34
    Peter Nachtigall hob die Hand und winkte Albrecht Skorubski zu, der sich auf den Heimweg machte. Seine Frau würde ihn sicher mit einem leckeren Abendessen erwarten, vielleicht mit Kerzen und Wein.
    Er überließ sich einige Sekunden dem Selbstmitleid, dachte an sein dunkles Haus, das Angebot im Kühlschrank. Die beiden Katzen würden sich natürlich freuen, wenn er jetzt nach Hause käme. Aber weniger wegen seiner Präsenz als wegen seiner Funktion, dachte Nachtigall illusionslos. Dosenöffner!
    Kurz entschlossen stellte er seinen Wagen auf dem Parkplatz hinter der Oberkirche ab. Ein bisschen Gewühl und laute Musik konnten bestimmt nicht schaden. Der Appetit hatte seinen besten Freund, den Hunger, längst geweckt und so ging der Hauptkommissar auf dem Weg zum Mosquito schon im Kopf die Speisekarte durch. Mit raumgreifenden Schritten überquerte er den Parkplatz und lief an der Fassade von St. Nicolai entlang. An der Ecke blieb er stehen. Das Restaurant von der gegenüberliegenden Straßenseite hatte im vergangenen Sommer in dieser Nische Tische aufgestellt, eine Art Sonnenterrasse eingerichtet. So schnell geriet ein Anschlag, der tagelang die Presse bewegt hatte, in Vergessenheit. Ob überhaupt noch jemand daran dachte, dass hier ein Mann beinahe getötet worden war? Bandido oder Hells Angels? Er zuckte mit den Schultern, war ja im Grunde auch egal, wichtig war nur, dass der Mann überlebt hatte.
    Nachtigall wandte sich nach rechts. Die behagliche Atmosphäre über dem Altmarkt nahm ihn beinahe augenblicklich gefangen. Vor dem Mosquito brannten einladend Fackeln, hinter den Scheiben erkannte er junge Leute, die gestikulierend mit dem Gegenüber diskutierten oder andere, die über den Tisch hinweg verliebt Händchen hielten. Vielleicht fand er gar keinen Platz mehr.
    Er bog in die schmale Gasse ein und öffnete die schwere, schwarze Tür. Sofort brandeten ihm Musik und laute Gesprächsfetzen entgegen. Hinter der Bar ratterte eine Eiscrushmaschine.
    Ohne viel Hoffnung sah er sich um. Selbst an der Theke saßen die Gäste dicht gedrängt.

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